Hängen Moral und Glauben zusammen?



  • Konrad Rudolph schrieb:

    ...
    Wieso fragt man bei Moral immer Theologen oder Philosophen?

    Wieso nicht, was doch an sich naheliegender wäre, z.B. Biologen? (Und um queer_boy vorzubeugen: Wenn Evolution die Psyche nicht geformt hat, was dann?)...

    "Biologen" sind doch auch nur die "Theologen einer bestimmten Religion".

    Dafür spricht allein schon der Ansatz, sich moralische Fragen von ihnen beantworten lassen zu wollen. 😃

    Gruß,

    Simon2.



  • Simon2 schrieb:

    Du setzt implizit (aber entscheidend) voraus, dass Nächstenliebe unabhängig von Gott existiert ... das muss aber nicht so sein.
    Und damit wird der Schluss nicht mehr zwingend....
    Wenn Gott die Nächstenliebe als etwas Gutes erschaffen hat, stellt sie KEIN ihm übergordnetes Prinzip dar.

    Ich halte Platons Ideenlehre für absurden Unsinn. Du dagegen scheinst sehr viel darauf zu halten. Damit sind die Fronten wohl geklärt 😉

    Ich setze also überhaupt keine Existenz von Nächstenliebe voraus, da nur Entitäten existieren können. Daraus folgt einerseits, dass Nächstenliebe nicht unabhängig von Entitäten wie Gott oder Menschen existiert, vor allem aber auch, dass Nächstenliebe nicht erschaffen werden kann. Da der Nächstenliebe aber auch keine eigene Existenz zuteil wird, ist eine Ordnung, wie du sie ansprichst, natürlich auch nicht möglich. Aber weder muss eine solche existieren, noch müssen Abstrakta eine eigene Existenz haben. Dass es ein unabhängiges Kriterium der Moral gibt, bedeutet nicht, dass es unabhängig von Entitäten existieren würde und daher eine eigene Existenz hätte oder haben müsse. Es bedeutet im Grunde nur, dass "es auch ohne Entität G gedacht werden kann", also von der Entität G unabhängig ist. Daraus folgt aber eben noch keine eigene Existenz im Sinne Platons.



  • Simon2 schrieb:

    Konrad Rudolph schrieb:

    ...
    Wieso fragt man bei Moral immer Theologen oder Philosophen?

    Wieso nicht, was doch an sich naheliegender wäre, z.B. Biologen? (Und um queer_boy vorzubeugen: Wenn Evolution die Psyche nicht geformt hat, was dann?)...

    "Biologen" sind doch auch nur die "Theologen einer bestimmten Religion".

    Das ist Schwachsinn, den man so nicht stehenlassen kann, nicht mal als Witz, weil er ein fundamentales Falschverstehen propagiert.

    Religion und Wissenschaft sind keine analogen Konzepte und haben nichts miteinander zu tun. Theologie ist immer einer Konfession unterworfen. Auch wenn die Tätigkeit der Theologen eine gewisse Wissenschaftlichkeit im Sinn der Quelleninterpretation besitzen mag, so ist sie doch letztendlich konfessionsgebunden und somit entweder einfache Quellenforschung oder Auslegung der Religion.

    Biologie, auf der anderen Seite, ist eine Naturwissenschaft, und damit ein Versuch, Teile der Realität zu beschreiben, indem die empirische Methode angewandt wird.

    Ich weiß nicht, was genau Du mit Theologen in Deiner Aussage meinst: Theologen als Wissenschaftler oder Theologen als Glaubensanhänger. In beiden Fällen ist die Aussage aber schlicht falsch.

    Als Wissenschaftler unterscheiden sich Theologen von Biologen in ihrer Methodik (oder Mangel derselben), welche dazu führt, dass die Ergebnisse der beiden Disziplinen einen fundamental anderen Stellenwert besitzen.

    Als Glaubensanhänger unterscheiden sie sich darin, dass Biologen „konfessionslos“ sind. Theologen arbeiten eng im Rahmen ihrer Konfession und sind durch sie gebunden. Biologen, wie andere Naturwissenschaftler, kennen keine solche Einschränkungen. Neue Erkenntnisse können jederzeit zu einem Paradigmenwandel führen. Wie Haldane so schön gesagt haben soll: Es ist absolut einfach, einen Biologen davon zu überzeugen, dass die Evolution trotz allem ein Irrtum war: Es würde reichen, fossile Hasen im Präkambrium zu finden. In einer Religion ist so etwas undenkbar: Es kann schon per Definition kein Gegenbeweis gegen Gott gefunden werden.



  • Konrad Rudolph schrieb:

    ...
    Religion und Wissenschaft sind keine analogen Konzepte und haben nichts miteinander zu tun. ...

    Was du da propagierst, ist eines der Dogmen dieser Religion. Du legst eine Deiner Ideologie entsprechende Definition von "Religion" zugrunde, die im Wesentlichen beinhalten dürfte, dass
    a) "Religion" subjektiv, irreführend, unzuverlässig und überhaupt irgendwie "unrealistisch" ist und
    b) dementsprechend "die (Natur)Wissenschaft" (bzw. das, was Du darunter verstehst) deswegen (weil sie ja Objektivität, Realität, .... verspricht) keine solche sein kann, sondern sogar im Widerspruch zu Religion stehen muss.

    Konrad Rudolph schrieb:

    ...Ich weiß nicht, was genau Du mit Theologen in Deiner Aussage meinst: Theologen als Wissenschaftler oder Theologen als Glaubensanhänger. In beiden Fällen ist die Aussage aber schlicht falsch....

    Weder noch. "Theologie" ist die "Lehre von Gott" - also sind diejenigen, die sich mit dieser Lehre auseinandersetzen "Theologen". Als übergeordneter Begriff wäre Dir vermutlich der Begriff "Ideologe" (also jemand, der sich mit der Lehre einer bestimmten Idee auseinandersetzt) lieber.
    Darin lag meine kleine Provokation, dass ich die "Idee" hinter dieser "Ideologie" als "Gott" bezeichnet habe.

    Konrad Rudolph schrieb:

    ...Theologie ist immer einer Konfession unterworfen...

    "Konfession" bedeutet übersetzt "Überzeugung" ... und auch "Biologen" sind einer Überzeugung unterworfen (z.B. dass sie mit ihrer Forschung "Wahrheit" konstruieren).
    Übrigens: Ich kenne durchaus "Theologen", die nicht "Glaubensanhänger" der von ihnen erforschten Theologie sind.

    Konrad Rudolph schrieb:

    ...Es ist absolut einfach, einen Biologen davon zu überzeugen, dass die Evolution trotz allem ein Irrtum war: Es würde reichen, fossile Hasen im Präkambrium zu finden. In einer Religion ist so etwas undenkbar: Es kann schon per Definition kein Gegenbeweis gegen Gott gefunden werden.

    Falsches Beispiel, weil die "Evolutionstheorie" nicht das Grunddogma der Biologie betrifft. Aber versuche mal, einen Biologen davon zu überzeugen, dass über seine "Empirie-Konstruktion" keine "Wahrheit" zu erreichen ist.
    Da wirst du auf seeeeehr ähnliche Probleme stoßen.
    Und zwar weil es in der Biologie per Definitionem keine "Wahrheit" außerhalb seiner Empirie gibt. Philosophisch gebildete Biologen würden zwar nicht eine "Wirklichkeit" außerhalb ihrer Empirie leugnen, ihr aber keine wesentliche Bedeutung (schon gar nicht für die Bedeutung ihrer Erkenntnisse) beimessen.

    Leicht OT: Ich möchte hier mal die "Biologen" in Schutz nehmen. Sie stehen hier als Begriff für diejenigen, die aus Forschungsergebnissen aus der Biologie/Physik/Chemie/... eine Ideologie konstruieren. Das sind erstaunlicherweise sehr viel seltener die tatsächlichen Forscher als vielmehr Menschen, die begierig Forschungsergebnisse aufsaugen, um sie als Vehikel für ihre (unabhängig davon existierenden) Vorstellungen zu mißbrauchen (klassisches Beispiel: Aus der Evolutionstheorie wird konstruiert, es gäbe keinen Gott).

    Übrigens gehst Du gar nicht auf mein wesentliches Argument ein:

    Simon2 schrieb:

    Dafür spricht allein schon der Ansatz, sich moralische Fragen von ihnen beantworten lassen zu wollen.

    Welche Rolle in meinem Leben hat denn derjenigem zu dem ich gehe, wenn ich wissen möchte, was "gut" und was "böse" ist ?

    Gruß,

    Simon2.



  • Simon2 schrieb:

    "Konfession" bedeutet übersetzt "Überzeugung"

    Nein, Bekenntnis.



  • Die ganzen empirischen Natur"wissenschaften" und Geistes"wissenschaften" sind nicht vor (prinzipbedingten) Fehlern gefeit und in diesem Sinne "Glauben".

    Deduktiv-axiomatische Wissenschaften wie die Mathematik, theoretische Informatik oder theoretische Physik sind da was ganz anderes.



  • Simon, es bringt nichts, gegebene oder standardmäßig in Gebrauch existierende Definitionen zu verdrehen, damit sie zu Deiner Argumentation passen. Religion hat zwar keine eindeutige Definition, aber alle gängigen Definitionen ziehen als Korollar nach sich, dass Religion auf blindem Glauben statt Evidenz beruht. Punkt. Das macht sie zwangsläufig subjektiv und unzuverlässig.

    Genauso gibt es ein eine sehr klar umrissene Definition davon, was Naturwissenschaft ausmacht, spätestens seit Popper. Diese von Dir aufgeführten Dinge (Objektivität, Realität) gelten per *Definition*. Was natürlich nicht heißen muss, dass jeder Wissenschaftler objektiv ist, das wäre Quatsch, vielmehr heißt es, dass die Forschung insgesamt Objektivität anstrebt.

    Auch Deine Definition von Theologie stimmt einfach nicht mit dem gängigen Begriff überein, wenn Du denkst, als übergeordneten Begriff Ideologie einführen zu können. Konfession in diesem Zusammenhang bezieht sich auf ziemlich spezifische Bekenntnisse (überwiegend christlich gebraucht), beispielsweise, dass ein Sünder in die Hölle kommt oder dass Beten hilft. Solche Dinge werden von Theologen einer gegebenen Konfession als unumstößlich betrachtet. Es wird gar nicht erst versucht, ihren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen sondern es werden die Texte ausgelegt, um sie zu untermauern.

    Dass es Theologen gibt, die einer von ihnen erforschten Konfession nicht angehören ist übrigens noch einmal eine andere Sache. Das könnte man besser als Geschichte oder Religionstheorie betrachten und hat mit Theologie an sich nichts zu tun.

    … versuche mal, einen Biologen davon zu überzeugen, dass über seine "Empirie-Konstruktion" keine "Wahrheit" zu erreichen ist.

    Wenn Du Wahrheit als etwas absolutes betrachtest, dann ist jeder Biologe von Deiner Behauptung überzeugt. Die Empirik strebt nicht an, die „absolute“ Wahrheit zu erreichen, ein Restzweifel bleibt quasi immer. Auf der anderen Seite ist es offensichtlich unsinnig, die Realität (in der die empirische Erhebung stattfindet) anzuzweifeln, weil man damit *alles* anzweifeln müsste und überhaupt nichts mehr als verlässlich annehmen könnte. Die Erfahrung zeigt, dass das nicht so ist, und dass wir uns im allgemeinen auf die Realität verlassen können.

    Von daher ist mein Evolutionsbeispiel sogar sehr passend gewesen. Evolution ist ein Fakt, die von Biologen nicht angezweifelt wird (selbst von kranken Köpfen wie Michael Behe nicht). Evolution lässt sich im Labor direkt beobachten. Trotzdem wäre es theoretisch (!) jederzeit möglich, einen ganz einfachen Gegenbeweis zu führen der demonstriert, dass Evolution falsch ist. Und genau diese theoretische Unsicherheit ist jedem Naturwissenschaftler sehr wohl bewussst, im Gegensatz zu Religion, wo diese Unsicherheit unbekannt ist.

    Falls Du etwas anderes meinst, nämlich, dass ich einen Biologen davon überzeugen soll, dass die empirische Methode (bzw. das Konzept der Falsifizierbarkeit) falsch ist, weise ich darauf hin, dass solche Paradigmenwechsel ebenfalls schon vorgekommen sind. Die aktuelle systematische Methodik ist sogar ziemlich neu. Und rein theoretisch wäre auch sie ablösbar. Wobei ich denke, dass sich dieses Ablösen auf ein Verfeinern beschränken würde. Abgesehen davon gibt es durchaus Kritiker der Methode. Auch diese beschränken sich aber auf Feinheiten. Das allgemeine Konzept funktioniert offensichtlich.

    Übrigens gehst Du gar nicht auf mein wesentliches Argument ein:

    Dafür spricht allein schon der Ansatz, sich moralische Fragen von ihnen beantworten lassen zu wollen.

    Das ist kein Argument, das ist eine Behauptung. Es setzt außerdem voraus, dass zwischen Religion und Moral ein kausaler Zusammenhang besteht und da ich das ablehne, lehne ich auch diese Behauptung als unzutreffend ab.

    Welche Rolle in meinem Leben hat denn derjenigem zu dem ich gehe, wenn ich wissen möchte, was "gut" und was "böse" ist ?

    Eine große. Aber wo ist der Zusammenhang? Ich gehe nicht zu einem Biologen, um mir bei ihm Rat über Gut und Böse zu holen. Ich gehe zu ihm, um mir erklären zu lassen, worauf meine Moral basiert, *wieso* ich einer Moral folge, wieso einige Leute dies offensichtlich nicht tun, welchen Zweck eine altruistische Moral verfolgt.



  • minhen schrieb:

    Simon2 schrieb:

    Du setzt implizit (aber entscheidend) voraus, dass Nächstenliebe unabhängig von Gott existiert ... das muss aber nicht so sein.
    Und damit wird der Schluss nicht mehr zwingend....
    Wenn Gott die Nächstenliebe als etwas Gutes erschaffen hat, stellt sie KEIN ihm übergordnetes Prinzip dar.

    Ich halte Platons Ideenlehre für absurden Unsinn. Du dagegen scheinst sehr viel darauf zu halten. ...

    Nö ... nur das steht hinter dem Paradoxon, das Du oben zitiert hast.
    Ich habe auch nirgends "freischwebende Ideen" erwähnt, sondern nur:

    Simon2 schrieb:

    Du setzt implizit (aber entscheidend) voraus, dass Nächstenliebe unabhängig von Gott existiert ...

    Und Du bestätigst es auch:

    minhen schrieb:

    ...Es bedeutet im Grunde nur, dass "es auch ohne Entität G gedacht werden kann", ...

    Ja ... und von wem ?
    Du verwendest einen Existenzbegriff, der einen Zusammenhang an eine "Entität" voraussetzt, aber das ändert doch an der Sache gar nichts.
    Das Paradoxon "funktioniert", indem es eine (wie auch immer geartete) "Existenz" der Nächstenliebe (und sei es nur im Denken der Menschen) voraussetzt ("... weil sie gut ist..."). Für diese "Existenz" fordert es aber nichts, als, dass sie unabhängig von Gott ist .... und kommt dann zu dem Schluss, dass sie unabhängig von Gott ist. Seeehr überraschend.

    Gruß,

    Simon2.



  • Ribosom schrieb:

    Die ganzen empirischen Natur"wissenschaften" und Geistes"wissenschaften" sind nicht vor (prinzipbedingten) Fehlern gefeit und in diesem Sinne "Glauben".

    Nein, Du machst den gleichen Fehler wie Simon. Abgesehen davon haben Geistes- und Naturwissenschaften miteinander methodisch nichts zu tun. Dass Naturwissenschaften vor prinzipbedingten Fehlern nicht gefeit ist, ist theoretisch korrekt. Das macht sie aber nicht zu Glauben. Glauben impliziert, dass im Zweifelsfall wider besseres Wissen daran festgehalten würde.



  • Konrad Rudolph schrieb:

    Abgesehen davon haben Geistes- und Naturwissenschaften miteinander methodisch nichts zu tun.

    Wenn die Methode Empirie heißt, schon. Sagen wir, sie haben manche Methoden gemeinsam.

    Konrad Rudolph schrieb:

    Glauben impliziert, dass im Zweifelsfall wider besseres Wissen daran festgehalten würde.

    Was aber, wenn man prinzipbedingt nicht wissen kann?



  • Konrad Rudolph schrieb:

    ...alle gängigen Definitionen ziehen als Korollar nach sich, dass Religion auf blindem Glauben statt Evidenz beruht. ...

    😮
    2 Fragen:
    1.) Wer entscheidet, was "gängig" ist ?
    2.) Auf wieviel "Evidenz" basiert Dein persönliches Weltbild ? Wieviele Deiner Überzeugungen hast du bereits selbst überprüft ? Es müsste über Dich ja sehr viel zu lesen geben, wenn Du das alles selbst überprüft hättest .... oder hast du das einfach in "...blindem Glauben ..." von Anderen übernommen ?

    Konrad Rudolph schrieb:

    ......Punkt. ...

    🙄
    Du schreibst ziemlich viel dafür, dass Du anscheinend keine Lust zum Argumentieren hast.
    Sorry, mag unsachlich sein, aber das ist doch nun wirklich schlechter Stil, oder ?

    ... im Augenblick kann ich Dein letztes Post nur überfliegen und nicht inhaltlich beantworten, weil ich jetzt weg muss und erstmal ein paar Tage bei meinen Schiwegereltern offline bin. Danach schaue ich nochmal rein.
    Insgesamt kann man aber schon sehen, dass du mit unheimlich viel impliziten Wertungen arbeitest (deine Definition ist "gängig", eine Änderung ist nur "theoretisch", Glauben ist "blind", Zweifel können nur "Rest-" und Änderungen nur "Verfeinerungen" sein, ...)
    Da scheint in meinen Augen eine ganze Menge "Bekenntnis" (und letztlich "Glauben") durch.

    Konrad Rudolph schrieb:

    ...Ich gehe nicht zu einem Biologen, um mir bei ihm Rat über Gut und Böse zu holen. Ich gehe zu ihm, um mir erklären zu lassen, worauf meine Moral basiert, *wieso* ich einer Moral folge, wieso einige Leute dies offensichtlich nicht tun, welchen Zweck eine altruistische Moral verfolgt.

    Wie soll ein Biologe solche Frage über Moral beantworten, ohne sich mit Moral auseinandergesetzt zu haben ? Er kann es doch lediglich auf biologisches Vokabular verkürzen und dann zu dem "überaschenden" Schluss kommen, dass alles nur Biologie sei ...

    Gruß,

    Simon2.

    P.S.: Nur zur Klärung: Ich habe selbst mein Physikdiplom in der Tasche (auch wenn ich es seit 10 Jahren nicht mehr gebraucht habe) - so gaaanz unbeleckt bin ich in dem Thema nicht - und "Theologe" (nach deiner Definition) bin ich nicht.



  • Simon2 schrieb:

    1.) Wer entscheidet, was "gängig" ist ?

    Allgemein eine gute Frage. In diesem Fall beziehe ich mich einfach darauf, was die meisten klugen (…) Leute dazu sagen. Es gibt ja durchaus Definitionen für Religion (wobei es wohl mehr Definitionen als Soziologen gibt). Ich wollte mit „gängig“ nur alles unsystematische ausklammern. Die von mir angeführten Korollare werden aber auch von Theologen und Gläubigen nicht bestritten (zumindest wäre mir das neu, und ich habe schon wirklich viele Meinungen zu dem Thema gehört).

    2.) Auf wieviel "Evidenz" basiert Dein persönliches Weltbild ? Wieviele Deiner Überzeugungen hast du bereits selbst überprüft ? Es müsste über Dich ja sehr viel zu lesen geben, wenn Du das alles selbst überprüft hättest .... oder hast du das einfach in "...blindem Glauben ..." von Anderen übernommen ?

    Ich versuche natürlich, soviel wie möglich selbst nachzuprüfen. Als Bioinformatiker bin ich dafür auch in Fragen der Biologie gar nicht schlecht positioniert.

    Abgesehen ist gar nicht nötig, alles selbst nachzuprüfen. Erst einmal ist es bereits nützlich, dass eine prinzipielle Nachprüfbarkeit besteht. Und dann sind alle wichtigen nachprüfbaren Behauptungen von enorm vielen Personen immer wieder nachgeprüft worden. Natürlich ist möglich, dass sich alle geirrt haben (oder mich alle betrügen möchten), und dass ich den Fehler selbst finde. Theoretisch ist möglich, dass ich der Star der Truman-Show bin und alle Leute um mich herum Schauspieler sind, alle Nature-Publikationen gefälscht wurden und dass sich Wasser ausdehnt, wenn man es auf 4°C abkühlt, und zusammenzieht, wenn man es weiter kühlt (habe ich nie ausprobiert). Das ist aber alles einfach unplausibel. Eislaufen klappt auch ohne diesen Versuch.

    Um es mal anders zu sagen: Man muss sich nicht die Finger verbrennen, um zu wissen, dass Feuer heiß ist. Obwohl das ein exzellenter Evidenzbeweis wäre, reicht es, aus lückenhaften Kenntnissen heraus zu extrapolieren.

    Übrigens ist es wieder da: Du schreibst „in blindem Glauben“ … es ist eben *nicht* in blindem Glauben, wenn ich eine Theorie akzeptiere, ohne jede Evidenz selbst überprüft zu haben. In blindem Glauben ist das nur dann, wenn diese Überprüfung kategorisch ausgeschlossen wird.

    Konrad Rudolph schrieb:

    ......Punkt. ...

    🙄
    Du schreibst ziemlich viel dafür, dass Du anscheinend keine Lust zum Argumentieren hast.
    Sorry, mag unsachlich sein, aber das ist doch nun wirklich schlechter Stil, oder ?

    Argumentieren ist eine Sache, gegebene/gebräuchliche Definitionen auf den Kopf zu stellen eine andere. Es ist einfach unproduktiv, Hergebrachtes zu Beginn jeder Diskussion komplett neu aufzurollen, dann kommt man nämlich nie zum Kern der Diskussion.



  • Simon2 schrieb:

    Ja ... und von wem ?
    Du verwendest einen Existenzbegriff, der einen Zusammenhang an eine "Entität" voraussetzt, aber das ändert doch an der Sache gar nichts.
    Das Paradoxon "funktioniert", indem es eine (wie auch immer geartete) "Existenz" der Nächstenliebe (und sei es nur im Denken der Menschen) voraussetzt ("... weil sie gut ist..."). Für diese "Existenz" fordert es aber nichts, als, dass sie unabhängig von Gott ist .... und kommt dann zu dem Schluss, dass sie unabhängig von Gott ist. Seeehr überraschend.

    Zunächst einmal handelt es sich dabei um überhaupt kein Paradoxon und erst recht nicht um eine Tautologie. Von wem das Konzept der Nächstenliebe gedacht wird, spielt für das Beispiel überhaupt keine Rolle, da das Konzept in der Tat unabhängig ist. Aber wie gesagt folgt daraus keine Existenz im Sinne Platons. Speziell folgt daraus, dass das Abstraktum Nächstenliebe nicht erschaffen werden kann. Erschaffen bedeutet, dass jemand etwas zur Existenz verhilft. Was keine eigene Existenz hat, kann also auch nicht erschaffen worden sein. Auf die Erschaffung der Nächstenliebe durch Gott zielt aber dein ganzes Gegenargument und fällt daher mit der fehlenden Erschaffung auch in sich zusammen. Die Unabhängigkeit, die das Beispiel annimmt, ist schlicht nicht dieselbe Unabhängigkeit, mit der du argumentierst.
    Daher auch die Verbindung zur Ideenlehre Platons. Denn nur mit dieser wären die beiden Unabhängigkeiten nicht unterschiedliche Konzepte. Unter der Voraussetzung, dass Abstrakta keine "physische" Existenz haben, sind es aber unterschiedliche Konzepte (also "unterschiedliche Unabhängigkeiten").



  • minhen schrieb:

    Aber wie gesagt folgt daraus keine Existenz im Sinne Platons. Speziell folgt daraus, dass das Abstraktum Nächstenliebe nicht erschaffen werden kann. Erschaffen bedeutet, dass jemand etwas zur Existenz verhilft. Was keine eigene Existenz hat, kann also auch nicht erschaffen worden sein.

    Huch, das mit der "Erschaffung" ist aber doch ein problematischer Existenzbegriff? Man denke zum Beispiel an das Universum oder an virtuelle Teilchen?



  • Erschaffung ist doch kein Existenzbegriff. Denn aus Erschaffen -> Existenz folgt nicht Existenz -> Erschaffen.



  • Ribosom schrieb:

    Die ganzen empirischen Natur"wissenschaften" und Geistes"wissenschaften" sind nicht vor (prinzipbedingten) Fehlern gefeit und in diesem Sinne "Glauben".

    Deduktiv-axiomatische Wissenschaften wie die Mathematik, theoretische Informatik oder theoretische Physik sind da was ganz anderes.

    Wo ist eigentlich der unterschied zwischen folgenden Axiomen:

    1+1=2
    Gott existiert



  • otze schrieb:

    Wo ist eigentlich der unterschied zwischen folgenden Axiomen:

    1+1=2
    Gott existiert

    Da gibt es eine ganze Menge Unterschiede.

    Zuerst einmal lässt sich die erste Aussage mithilfe der Peano-Axiome beweisen. Das verlagert die Problematik zugegebenermaßen aber nur. Die Peano-Axiome kann man aber gut und gerne als (willkürliche) Definitionen auffassen. Die Mathematik funktioniert also unter Annahme dieser Axiome. Aus Gödels Unvollständigkeitssatz (und IMHO auch nur mit dem dem gesunden Menschenverstand) kann man ableiten, dass wir auch nie etwas besseres haben werden. D.h. die Basis der Mathematik wird immer auf fundamentalen Axiomen beruhen, die letztendlich unbeweisbar sind.

    Das macht aber nichts, denn der Rest klappt. Es ist offensichtlich, dass die heutige Mathematik stimmt. Ironischerweise entsteht diese Offensichtlichkeit durch die enorm hohe Zahl an Evidenzbeweisen.

    Die Aussage „Gott existiert“ hingegen hat keine solche Bestätigung und kann per Definition auch gar nicht bestätigt werden, weil Gott durch seine Allmacht jenseits jedes empirischen Tests steht.

    Nicht zuletzt unterschieden sich die beiden Aussagen aber einfach durch ihre Relevanz. Die Aussage „1 + 1 = 2“ ist eine grundlegende Folgerung der Mathematik, und damit auch der Physik und jeder anderen Naturwissenschaft. Die gesamte heutige Gesellschaft baut implizit darauf auf, dass diese Aussage stimmt. Indirekt lassen sich aus ihr wichtige Vorhersagen ableiten, ohne die technische Errungenschaften nicht funktionieren würde. Wir verlassen uns darauf, dass logische Schlussfolgerungen stimmen, weil sie das offensichtlich tun. In einem Programmierforum sollte es reichen, darauf hinzuweisen, dass wir ohne die Richtigkeit dieser Aussage kein einziges funktionierendes Programm bauen könnten, weil die Reihenfolge der Befehlsausführung willkürlich wäre.

    – Die Aussage „Gott existiert“ hingegen besitzt absolut keine Relevanz in diesem Sinn, da sie keine Vorhersagen treffen kann. Am Beispiel der Auguren: Der Priester kann aus dem Flug der Schwalben voraussagen, dass die Ernte gut wird. Wenn sie das tatsächlich wird, dann hat Gott seine Allmacht bewiesen. Wenn die Ernte hingegen schlecht wird, dann sind Gottes Wege unergründlich. Mit anderen Worten: Es besteht absolut kein nachweisbarer kausaler Zusammenhang.



  • Nachdem ich gestern einen Beitrag im Fernsehen gesehen habe dass Galileo von der katholischen Kirche nahezu gefoltert wurde um von der tatsächlichen Wahrheit (Dass die Erde keine Scheibe ist) ab zu schwören, gehört die Kirche und der dazugehörige Glauben um den es in dieser Umfrage geht zu den Dingen die die Welt eigentlich gar nicht mehr braucht.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Galileo_Galilei

    Im übrigen sind die meisten Kriege aufgrund eines "Glaubens" im Namen der Kirche entstanden.

    Ich muss keiner Kirche und keinem Glauben angehören um ein moralisches Leben zu führen oder nach sogenannten christlichen Grundsätzen zu handeln.



  • Natürlich gibt es den Evidenzbeweis. er umgibt uns. Wir sind der Evidenzbeweis.
    von all den möglichen Werten für die naturkonstanten ist in unserem universum jene gewählt, dass wir existieren können. Wären die Werte nur minimal unterschiedlich, könnten wir nicht existieren. Elektronen würden in die Atomkerne stürzen oder sich von den Kernen entfernen, das Universum wäre schon längst wieder kollabiert, oder der Urknall hätte garnicht erst in dieser Form stattgefunden. Es geht noch weiter. Die Chance, dass selbst bei diesen Idealwerten Leben hervorgeht ist nahe null. wäre die Erde näher an der Sonne währen wir gegrillt, währen wir weiter weg, währen wir erfroren. Und selbst wenn das stimmt, und alle Umgebungswerte genau richtig sind, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, wie das leben, oder gar erst eine art "ursuppe" entstanden sein kann, zumindest nicht ohne sich auf pures Glück, in form eines 6er im Lottos 1 Million mal in folge zu Berufen.

    Aber wir existieren.

    Wenn dieses Axiom nicht stimmen würde, dann würde die informatik unser geringstes problem sein, denn die Reihenfolge der Befehlsausführung ist nur ein eher geringes Problem im vergleich zur nicht existenz des Universums.

    Der Priester kann aus dem Flug der Schwalben voraussagen, dass die Ernte gut wird. Wenn sie das tatsächlich wird, dann hat Gott seine Allmacht bewiesen. Wenn die Ernte hingegen schlecht wird, dann sind Gottes Wege unergründlich. Mit anderen Worten: Es besteht absolut kein nachweisbarer kausaler Zusammenhang.

    Sollte einen vorallem als Physiker nicht weiter stören. "Gottes Wege sind unergründlich" ist doch auch nicht viel anders als "Δx*Δp≥h/2".

    Am Ende ist es doch wie immer. Jede Wissenschaft hat ihre Axiome auf die sie sich beruft. Manche mehr, manche weniger. Ein Axiom der Religion ist eben, dass Gott existiert. Alles andere kann man daraus folgern. Ob das richtig oder falsch ist können wir nicht beweisen, genauso wie jeder Beweis für 1+1=2 kläglich scheitern wird(oder irgendeines beliebigen anderen Axioms).



  • Konrad Rudolph schrieb:

    Es ist offensichtlich, dass die heutige Mathematik stimmt. Ironischerweise entsteht diese Offensichtlichkeit durch die enorm hohe Zahl an Evidenzbeweisen.

    so offensichtlich? ich sehe da eine ganze menge unterschiede. die einen akzeptieren das auswahlaxiom, die anderen nicht (findest du es offensichtlich, dass das gilt?). Dann gibt es Leute, die "tertium non datur" nicht akzeptieren, also nur konstruktive Beweise gelten lassen.


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