sind genetische Algorithmen für gewisse Bereiche nicht zu gebrauchen?



  • hallo community, ich hab mich mit einführungsliteratur zu genetischen algorithmen beschäftigt,und bin im Internet auf seiten gestoßen, in welchem Programmierer/Trader versuchen, mithilfe von genetischen Algorithmen automatische Handelssysteme für den Börsenhandel zu erstellen. Irgendwo auf diesen Seiten steht, dass diese Systeme mit 66 prozent Trefferwahrscheinlichkeit arbeiten.

    Also dass sich die kurse mit 66 prozent wahrscheinlichkeit in die richtung bewegen, die das system prognostiziert.

    Ich bin seit jahren an Aktienmärkten aktiv, und bin bisher mit der "kaufen und halten"-strategie super gefahren. Drum stell ich mir folgende Fragen:

    - Eine "trefferwahrscheinlichkeit" von 66 Prozent ist für den Aufwand aus meiner sicht sehr gering. Ich denke, dass man ohne genetische algorithmen durchaus eine solche quote erzielen kann, oder findet ihr nicht?

    - Wenn ich das richtig verstanden habe, mit den neuronalen netzen/genetischen Algorithmen, dann ist doch eigentlich auch nicht klar, in welche Richtung sich ein solches netzwerk optimieren soll, denn ein genetischer algorithmus ist zwar dafür gedacht, nichtlineare problemstellungen zu lösen(problem des handlungsreisenden, Rucksackproblem), dennoch kann er nicht das Verhalten/die Nachrichten/die Zukunft vorhersagen...oder etwa doch???

    - Selbst wenn man in einem system nachrichten und meldungen von hand gewichtet, läuft man doch gefahr, dass man einzelene sachen über/unterschätzt...aus meiner sicht jedenfalls..?

    - Kann es sein, dass es sich bei den internetseiten, auf die ich gestoßen bin, rein um geschäftemacherei geht? so nach dem motto "ich schreib hier was von börsensystemen, welche ich verkaufe, die mit genetischen algorithmen arbeiten, und wo 90 prozent der leute gar nicht wissen, was das ist"?

    ich stelle jetzt einfach mal in den raum, dass genetische algorithmen für den Börsenhandel nichts bringen, und den aufwand nicht wert sind. Was denkt ihr darüber?



  • Boersenvorhersagen mit Hilfe von maschinellen Lernalgorithmen (Genetische Algorithmen,Support Vector Machines, Neuronale Netze...) ist ein durchaus interessantes Forschungsgebiet, und ich glaub die "Big Players" auf den Aktienmaerkten wuerden sich nicht so sehr dafuer interessieren (und soweit ich das mitkrieg tun sie das), wenn da nicht was zu holen waer. Die Frage, auf die das Ganze letztenendes zurueckgefuehrt werden kann, ist "wie gut kann ich aus der Vergangenheit Aussagen ueber die Zukunft ableiten". 66% korrekte Voraussagen find ich auf einem so sprunghaften Gebiet eigentlich nicht so schlecht, hab aber zu wenig Ahnung vom Thema um sagen zu koennen, ob das fuer einen Genetischen Algorithmus/einem machine-learning-Algo allgmein auf dem Gebiet viel oder wenig ist.

    - Eine "trefferwahrscheinlichkeit" von 66 Prozent ist für den Aufwand aus meiner sicht sehr gering. Ich denke, dass man ohne genetische algorithmen durchaus eine solche quote erzielen kann, oder findet ihr nicht?

    Warum? Genau darum gehts doch: du hast ueberhaupt keinen Aufwand. Du gibst dem Algorithmus Lerndaten, optimierst ein bisschen die Parameter und ab da musst du ueberhaupt nix mehr machen, und wirst doch in mehr als der Haelfte aller Faelle Geld machen. Klar kann man das auch, indem man jeden Tag Boersenkurse studiert und Wirtschaftsnachrichten liest, der Aufwand ist allerdings wesentlich hoeher.

    - Wenn ich das richtig verstanden habe, mit den neuronalen netzen/genetischen Algorithmen, dann ist doch eigentlich auch nicht klar, in welche Richtung sich ein solches netzwerk optimieren soll, denn ein genetischer algorithmus ist zwar dafür gedacht, nichtlineare problemstellungen zu lösen(problem des handlungsreisenden, Rucksackproblem), dennoch kann er nicht das Verhalten/die Nachrichten/die Zukunft vorhersagen...oder etwa doch???

    Doch, beim Maschinellen Lernen gehts genau darum: aus alten Daten "lernen" um damit die Zukunft vorherzusagen.

    - Selbst wenn man in einem system nachrichten und meldungen von hand gewichtet, läuft man doch gefahr, dass man einzelene sachen über/unterschätzt...aus meiner sicht jedenfalls..?

    Over- und Underfitting sind haeufige Probleme beim Maschinellen Lernen, das ist richtig. Klar kann so ein System nicht 0% Fehler machen, aber vorausgesetzt du hast das System richtig konfiguriert (so dass es weiss auf was fuer Daten es achtgeben muss, wie sie gewichtet sein sollen und wie die einzelnen Daten zusammenhaengen), dann kannst du damit im Mittel sehr wohl brauchbare Voraussagen erhalten, auch wenn natuerlich hin & wieder grosse Ausreisser dabei sind.

    - Kann es sein, dass es sich bei den internetseiten, auf die ich gestoßen bin, rein um geschäftemacherei geht? so nach dem motto "ich schreib hier was von börsensystemen, welche ich verkaufe, die mit genetischen algorithmen arbeiten, und wo 90 prozent der leute gar nicht wissen, was das ist"?

    Ich hab wie gesagt k.A. vom Thema 😉 Kanns mir aber gut vorstellen.

    ich stelle jetzt einfach mal in den raum, dass genetische algorithmen für den Börsenhandel nichts bringen, und den aufwand nicht wert sind. Was denkt ihr darüber?

    An meiner Uni gibts 2 Professoren/Institute, die sich allgemein mit dem Thema "Maschinelles Lernen" befassen, und beide erzaehlen, dass sie immer wieder Diplomenten/Dissertanten haben, die nach Abschluss ihres Studiums genau von groeseren Investmentfirmen oder Banken Anstellung finden, um an solchen Boersenkursvorhersagungs-Algorithmen zu arbeiten. Also vermut ich stark, dass da auch was dahinter steckt.



  • Hallo,

    spongle schrieb:

    - Eine "trefferwahrscheinlichkeit" von 66 Prozent ist für den Aufwand aus meiner sicht sehr gering. Ich denke, dass man ohne genetische algorithmen durchaus eine solche quote erzielen kann, oder findet ihr nicht?

    Nein, 66% ist eigentlich nicht schlecht. In dem Bereich, in dem Handelssysteme sich normalerweise bewegen (intraday, manchmal im Bereich von wenigen Sekunden Haltedauer, bis eine Position wieder glattgestellt wird), hättest du, wenn du raten würdest, eine Wahrscheinlichkeit von 50%. Die meisten der Hobby-Trader schaffen auch nicht mehr, auch wenn sie sich selbst natürlich nie eingestehen würden, dass sie kaum Gewinne machen bzw. ihre Gewinne durch Glück zustande kamen. In diesen Märkten ist 66% Prognosegenauigkeit schon sehr gut.

    Das Verhältnis von Win zu Loss Trades ist aber eigentlich gar nicht die entscheidende Kennzahl. Viel wichtiger ist der relative Gewinn des Systems (man muss ja mit einer Loss Trade durchschnittlich nicht so viel verlieren, wie man mit einem Win Trade gewinnt, z.B. sind Abwärtsbewegungen oft wesentlich dynamisch als Aufwärtsbewegungen) und risikoadjustierte Betrachtungen.

    spongle schrieb:

    - Wenn ich das richtig verstanden habe, mit den neuronalen netzen/genetischen Algorithmen, dann ist doch eigentlich auch nicht klar, in welche Richtung sich ein solches netzwerk optimieren soll, denn ein genetischer algorithmus ist zwar dafür gedacht, nichtlineare problemstellungen zu lösen(problem des handlungsreisenden, Rucksackproblem), dennoch kann er nicht das Verhalten/die Nachrichten/die Zukunft vorhersagen...oder etwa doch???

    Nein, natürlich kann das neuronale Netz nicht die Zukunft vorhersagen. Aber du kannst das Netz mit Parametern füttern und es so trainieren, dass es dir sagt, welche Reaktion bei dieser Parameterkonstellation auf irgendeine Messgröße, z.B. den Kurs oder die Volatilität, wahrscheinlich ist.

    spongle schrieb:

    - Selbst wenn man in einem system nachrichten und meldungen von hand gewichtet, läuft man doch gefahr, dass man einzelene sachen über/unterschätzt...aus meiner sicht jedenfalls..?

    Natürlich. Aber genau dazu trainierst du das System ja, damit es die richtige Gewichtung findet.

    spongle schrieb:

    - Kann es sein, dass es sich bei den internetseiten, auf die ich gestoßen bin, rein um geschäftemacherei geht? so nach dem motto "ich schreib hier was von börsensystemen, welche ich verkaufe, die mit genetischen algorithmen arbeiten, und wo 90 prozent der leute gar nicht wissen, was das ist"?

    Ich weiß nicht, auf welche Seiten du gestoßen bist, aber natürlich gibt es viele dubiose Geschäftemacher, die 10000%-Systeme verkaufen wollen. Börsengurus gibt es ja nicht erst, seit es Computer gibt, und dass sie ihre Zauberformeln, die sie an dumme Anleger verkaufen wollen, jetzt auf neuronale Netze und evolutionäre Algorithmen ausdehnen, ist doch nur logisch.

    spongle schrieb:

    ich stelle jetzt einfach mal in den raum, dass genetische algorithmen für den Börsenhandel nichts bringen, und den aufwand nicht wert sind. Was denkt ihr darüber?

    Dass du unrecht hast. 😉

    Viele Grüße
    Chris



  • Letztlich funktioniert es umso besser je mehr Leute daran glauben. Spucken die Programme aus, dass eine Aktie steigen wird, dann wollen alle kaufen und siehe da, die Aktie steigt... und umgekehrt genauso.



  • Hallo,

    Jester schrieb:

    Letztlich funktioniert es umso besser je mehr Leute daran glauben. Spucken die Programme aus, dass eine Aktie steigen wird, dann wollen alle kaufen und siehe da, die Aktie steigt... und umgekehrt genauso.

    ja, das funktioniert aber nur, wenn alle das gleiche neuronale Netz verwenden (bzw. solche, die halt oft ähnliche Ergebnisse ausschließen). Funktionieren tut es dann aber nur für die besseren, die dieses System verwenden- also die, die das Signal als erstes erhalten oder es aufgrund von besserer Anbindung oder besserem Broker schneller umsetzen können. Die letzten zahlen dann wieder den Gewinn der ersten.

    Das ist auch der Grund, warum ich sehr skeptisch bin, wenn ich höre, dass jemand ein gutes Handelssystem gefunden hat. Der, der das behauptet, muss nämlich dann erklären, warum z.B. Renaissance Technologies oder ein anderer Hedge Fonds mit ihren Supercomputern und hochkomplexen Optimierungsverfahren genau dieses Handelssystem noch nicht gefunden und für profitabel befunden hat. In dem Moment, in dem das nämlich geschieht, schießen die dort ein paar Milliönchen rein, immer wenn das System ein Signal liefert und schließen so die Marktineffizienz.

    Chris



  • ChrisM schrieb:

    ja, das funktioniert aber nur, wenn alle das gleiche neuronale Netz verwenden (bzw. solche, die halt oft ähnliche Ergebnisse ausschließen).

    na davon würde ich doch ausgehen, schließlich versuchen ja alle den Kurs aus der Vergangenheit zu extrapolieren.



  • Hi,

    Jester schrieb:

    ChrisM schrieb:

    ja, das funktioniert aber nur, wenn alle das gleiche neuronale Netz verwenden (bzw. solche, die halt oft ähnliche Ergebnisse ausschließen).

    na davon würde ich doch ausgehen, schließlich versuchen ja alle den Kurs aus der Vergangenheit zu extrapolieren.

    ja, aber jeder verwendet ein anderes Modell. Der eine neuronale Netze mit x Hidden Layers und diesen und jenen Eingabewerten, der andere neuronale Netze mit y Hidden Layers und anderen Eingabewerten. Der dritte verwendet vielleicht ein neuronales Netz, was keine Feed Forward-Struktur hat oder etwas ganz anderes... also kommt auch jeder zu anderen Ergebnissen und zwar nicht nur leicht abweichenden Signalen, sondern vielleicht ganz anderes (anderes lokales Maximum).

    Chris



  • ChrisM schrieb:

    ja, aber jeder verwendet ein anderes Modell. Der eine neuronale Netze mit x Hidden Layers und diesen und jenen Eingabewerten, der andere neuronale Netze mit y Hidden Layers und anderen Eingabewerten. Der dritte verwendet vielleicht ein neuronales Netz, was keine Feed Forward-Struktur hat oder etwas ganz anderes... also kommt auch jeder zu anderen Ergebnissen und zwar nicht nur leicht abweichenden Signalen, sondern vielleicht ganz anderes (anderes lokales Maximum).

    Es verwendet also jeder was anderes und jeder kriegt was völlig anderes raus? Und natürlich ist jede von den Strategien gleichzeitig auch noch toll (ein lokales Maximum)? Ach komm, das kannst Du mitsamt den Buzzwords jemand anderem erzählen.

    Alle extrapolieren die gleiche Funktion und wenn man davon ausgeht, dass sie das gut machen, dann erhält die Mehrheit auch ähnliche Ergebnisse. Das ist völlig unabhängig vom Verfahren. Und wenn genug Leute dran glauben, dann geht die Vorhersage auch in Erfüllung.



  • Hallo,

    Jester, du vergisst, dass es nicht nur um long/short geht (also um eine Prognose, ob die Kurse steigen oder fallen), sondern, dass Handelssysteme nicht in jedem Durchlauf überhaupt ein Signal generieren. Innerhalb eines gewissen Halte-Intervalls deines Ausgabewerts behältst du dein altes prognostiziertes Szenario bei bzw. stellst die Position glatt und "hältst das Pulver trocken" (das entspricht der neutralen Einschätzung eines Analysten).

    Du kannst das ja ganz losgelöst von den mechanischen Handelssytemen auch anhand von normalen Tradern betrachten. Nehmen wir an, du hast einen fundamentalen Trader, der jeden Tag den seiner Meinung nach unterbewertetsten Wert kauft und einen chartorientierten Trader, der den Wert mit dem seiner Meinung nach stärksten technischen Aufwärtstrend kauft.

    Selbst wenn du jetzt davon ausgehst, das beide Trader guten Gewinn machen, so werden sie doch an den allermeisten Werten unterschiedliche Positionen halten. Langfristig gesehen steigen 15 DAX-Werte jeden Tag und 15 fallen und selbst, wenn man mal davon ausgeht, dass unsere Trader nie daneben liegen und immer einen der Top-5-Performer kaufen, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sie gleiche Positionen kaufen (vulgo gleiche Signale generieren) nur bei 20%.

    Und ganz genau so ist es auch bei den Handelssystemen. Natürlich gibt es schon eine gewisse Korrelation zwischen den Signalen, gerade wenn du z.B. zwei Handelssysteme auf genau den selben Eingabedaten einer einzelnen Aktie laufen lässt, aber das habe ich ja nie abgestritten (und die muss es auch geben, sonst könnten ja nicht beide Systeme langfristig erfolgreich sein).

    Außerdem habe ich ja schon geschrieben, wenn die Signale, die du meinst, so eindeutig wären, könnte sie ja jeder umsetzen, was dann gerade dazu führt, dass die Umsetzung der Signale eben nicht mehr zu Gewinn führen.

    Viele Grüße
    Chris



  • Monster 😃 (Köhler)


Anmelden zum Antworten