Amazon als Sklavenhalter, Neonazis als "Security", oder nur Skandaljournalismus?



  • @pointercrash(): Nur so aus Interesse, wie bewertest Du relativ zu dieser Reportage eigentlich den Einsatz von Saisonarbeitskräften zum Spargelstechen oder ähnliches?



  • Gregor schrieb:

    ... wie bewertest Du relativ zu dieser Reportage eigentlich den Einsatz von Saisonarbeitskräften zum Spargelstechen oder ähnliches?

    Habe jetzt nur ISDN, bis der Beitrag geladen ist, ist der Vormittag rum. 😞
    Aber da kenne ich natürlich auch Geschichten mit katastrophalen Unterkünften, mieser Bezahlung und Unterdrückung.
    Der Unterschied liegt darin, daß sich das ein großes, populäres Unternehmen leistet und anscheinend keinen verkaufsschädigenden Imageverlust befürchtet hat.



  • Man sollte auch die Berufe rund um den Bau nicht vergessen. Da wurde früher gedrückt was nur geht.

    Zimmerei: Überstunden en masse, ständiger Druck vom Chef, bei LKW Fahrten war man meistens mit einem Bein im Knast und man war ständig dem Wetter ausgesetzt. Anständige Bereifung sah im Winter so aus dass die Reifen nicht glatt wie ein Kinderpopo waren. Oder man wurde auf's bei Regen auf's Dach gejagt, welches sehr rutschig war, und wo einem der neogrüne Lack auf den Latten durch den Regen auf die Hose tropft und diese ein Loch in die Hose frassen, wobei man noch man Ethernit Platten verlegte. Oder wo der Chef 90% der Belegschaft kündigte, dafür ungelernten Ersatz aus dem Ausland holte damit die restlichen 10% der Belegschaft diese anlernen sollten, diese aber auch kündigten. :p

    Ja ja, heute sieht alles anders aus. Wenn man so etwas mitbekommen hat, glaubt man nicht an eine Besserung der Lage und die Fälle bei Amazon sind da nicht wirklich verwunderlich.

    Aber wir dürfen eins nicht vergessen. Arbeitsbedingungen hängen meistens mit dem Wohlstand in dem Land zusammen. Wenn es um das Überleben geht, darf man nicht auf eine 40h Woche hoffen.



  • pointercrash() schrieb:

    Gregor schrieb:

    ... wie bewertest Du relativ zu dieser Reportage eigentlich den Einsatz von Saisonarbeitskräften zum Spargelstechen oder ähnliches?

    Habe jetzt nur ISDN, bis der Beitrag geladen ist, ist der Vormittag rum. 😞

    Ist auch nicht wirklich ein passender Beitrag zu diesem Thema hier, nur der erstbeste den ich zum Spargelstechen entdeckt habe. Die Zusammenhaenge dort wurden nicht als besonders schlimm dargestellt, sondern als Chance fuer die Saisonarbeiter, die vor allem aus Polen und Rumaenien kommen. Die Deutschen wurden in dem Beitrag etwas runtergemacht, weil sie wohl nicht bereit sind, unter den entsprechenden Bedingungen zu arbeiten. Die waren in etwa:

    10 Stunden pro Tag
    4,5-5 Euro pro Stunde
    Unterbringung ebenso in Mehrbettzimmern



  • Alles eine Frage der Darstellung, denn zu Anfang des Films heißt es doch: "Was die hier (die ausländischen Saisonarbeiter) in drei Monaten verdienen, ist zuhause in etwa ein Jahresgehalt" - das sind auch für Deutsche gute Bedingungen.


  • Mod

    scrub schrieb:

    Alles eine Frage der Darstellung, denn zu Anfang des Films heißt es doch: "Was die hier (die ausländischen Saisonarbeiter) in drei Monaten verdienen, ist zuhause in etwa ein Jahresgehalt" - das sind auch für Deutsche gute Bedingungen.

    +1. Mein Skandalometer springt ebenfalls nicht an, weder beim Spargel noch bei amazon.

    Um das mal auf Deutsche Verhältnisse zu übertragen: Jemand bietet dir an, dass du drei Monate in einer südamerikanischen Goldmine zu schuften. Anreise; Unterkunft und Essen (2 Sterne Niveau); sowie Transport vor Ort sind bereits organisiert. Lohn für die drei Monate: 75.000€. Danach wird deine Rückreise nach Deutschland organisiert und du wirst entlassen.

    Gutes oder schlechtes Angebot?



  • 10 Stunden pro Tag
    4,5-5 Euro pro Stunde
    Unterbringung ebenso in Mehrbettzimmern

    Hört sich nach McDonalds, Tankstellen Mitarbeiter oder nach Pizzafahrer an.



  • Ich halte das Angebot für Mist, aber ich könnte jeden verstehen, den das Geld lockt. Ich verstehe ja auch die Saisonarbeiter hier.

    Das ändert nichts daran, daß die Bedingungen bei Amazon (bzw. deren Schergen) ziemlich beschissen sind.

    Bitte ein Bit schrieb:

    Hört sich nach McDonalds, Tankstellen Mitarbeiter oder nach Pizzafahrer an.

    Äh... ja.


  • Mod

    Rechnet doch mal von der anderen Seite durch:

    Familie mit 2 Kindern, Mindestwohnungsgröße sehe ich da bei rund 70m² (ist aber immer noch winzig, eigene Zimmer für die Kinder gehen sich da wohl nicht aus). Preislich liegt das hier in Wien in einem miesen Bezirk bei ca. 750€/Monat. Dazu kommen sicher nochmal 150-200€ Heizung und Strom, dazu sicher nochmal 60€ für 4x Telefonie und Internet. Dazu Lebenserhaltungskosten, Versicherungen, (nicht einmal Fernsehen oder ein Auto - Substandard). Da sollten es für die Familie schon absolutes Minimum 1600€ Netto sein. Der Staat sagt in Österreich: € 1451 Mindesteinkommen. Sollte sich mit Müh und Not ausgehen.

    Gibt es soetwas in Deutschland gar nicht? Wie soll ich denn mit 50€ pro Tag das erreichen können (Stundenlohn 5€ * 10 Stunden, siehe Zitat oben)? Ich nehme mal an 5-Tage-Woche (was anderes wird wohl eh nicht erlaubt sein), 5 * 4,5 Wochen = 22,5 * 50 = €1125 BRUTTO - da bleiben Netto ja niemals nie 1600€ übrig.

    Bezieht Deutschland bereits seinen Wohlstand aus der Sklavenhaltung?

    MfG SideWinder



  • Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, aber die Argumentation dass diese Pseudo-Sklaven ja hier immernoch mehr verdienen als zu Hause finde ich auf Anhieb, ohne Energie in belastbare Argumentation gesteckt zu haben, schon sehr fies. Mit der einen Hand hält man das Land unter Wasser und mit der anderen Hand zieht man ein paar Leute raus und gibt ihnen etwas Brot und 10% mehr Gehalt als sie zu Hause bekämen, damit sie hier unter denselben Verhältnissen malochen, die wir selber als unwürdig bezeichnen würden. Ich kann damit irgendwie kein fehlendes schlechtes Gewissen rechtfertigen.
    Edit: und ich bin offen genug um zuzugeben, dass ich ohne die Angenehmlichkeiten unseres relativen Reichtums auch nicht mehr ohne widerwillen könnte. Ich wurde sozusagen gefühlt zum Ausbeuten angefixt, noch bevor ich denken konnte. Fällt natürlich immer leicht, die Verantwortlichkeit von sich zu weisen, seht ihr 😉


  • Mod

    Decimad, diese Diskussion und ihre darunter liegende Frage ist so alt wie es heterogene Resourcenverteilungen gibt.

    Die Beispiele auf dieser Welt sind ja noch gravierender: nehmen wir das Thema der Lohnsklaven in Bangladesch, die unsere Kleidung nähen. Es gibt eine Fraktion, die dort höhere Löhne und bessere Bedingungen durchsetzen will. Aber eine andere Fraktion zeigt auf, daß die schlechten Bedingungen bereits das Leben der Leute verbessert haben - bei besseren Bedingungen wäre das Land aber gar nicht attraktiv (im Ernst: wer würde schon freiwillig ein Sourcingprojekt in Bangladesch durchführen?). Ähnlich sind teilweise Schutzprogramme gegen Kinderarbeit rückgeschlagen - vorher haben in den Firmen Kinder gearbeitet, aber gegen Geld. Man hat das unterbunden - und damit die Familien in Not gestürzt, die von dem Geld der Kinder abhängig waren. Und die Kinder mußten sich in völlig unregulierte Sklaverei begeben, wurden verkauft, etc.

    Betrachtet man diese Gefälle überregional, gibt's nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.

    Ich war vor Jahren in Nordindien Richtung Kashmir bei einem Fabrikprojekt, und dort haben Frauen für den Hof Zement geschleppt. Die Babys lagen neben den Zementmischern im Schatten, aufgepasst haben die mittelalten Kinder, die noch nicht groß genug waren zum Zementschleppen.

    Ziemlich geschockt habe ich den Fabrikchef gefragt, was er dazu meint - und er sagte, es sei gut daß sie hier die Fabrik bauen - immerhin haben diese Frauen nun etwas Geld verdient. Ohne die Fabrik und den Zement hätten sie gar nichts, wie sollen sie dann die Kinder ernähren?

    Unterbindest Du also eine menschenunwürdige Tätigkeit, die dabei für die Menschen bereits eine Verbesserung gegenüber ihres Normalzustands darstellt? Lieber geregelte Tätigkeitsverhältnisse, dafür keinen Job?

    Schwierig, schwierig.

    Das ist ja auch das Thema mit H4 - für "uns" Normalos ist das wenig Geld, kaum vorstellbar wie man über die Runden kommen kann. Wenn jemand aber aus einem Land kommt, wo er bei vielleicht halb so hohen Lebenshaltungskosten mit 100 EUR und 2 Kindern pro Monat überleben muß, für denn sind 800 EUR bei doppelt hohen Lebenshaltungskosten Luxus. Und wenn man zuhause mit 8 Leuten in 2 Zimmern wohnt, sind dann 4 Leute in 3 Zimmern auch eine Verbesserung - für mich aber immer noch Horror.

    Die gute Nachricht ist vermutlich, daß in all den Ländern, wo Industrie aufgebaut wird, letztlich die Löhne und Gehälter steigen und sich die Einnahmebasis verbreitert.

    Die schlechte Nachricht ist allerdings, daß dadurch langfristig für uns alle Produkte teurer werden, und jeder, der bei uns heute finanziell an der "Klippe" steht darüber fallen wird, weil er sich immer weniger leisten kann.


  • Mod

    SideWinder schrieb:

    Gibt es soetwas in Deutschland gar nicht? Wie soll ich denn mit 50€ pro Tag das erreichen können (Stundenlohn 5€ * 10 Stunden, siehe Zitat oben)? Ich nehme mal an 5-Tage-Woche (was anderes wird wohl eh nicht erlaubt sein), 5 * 4,5 Wochen = 22,5 * 50 = €1125 BRUTTO - da bleiben Netto ja niemals nie 1600€ übrig.

    Die Leute die das machen sind oftmals aus 4 Gruppen:

    - Nebenjobber, die das auf Minijob o.ä. machen, so daß das steuerfrei nebenher ist - weil das normale Gehalt nicht reicht
    - Schüler/Studenten
    - "Aufstocker", die bekommen dann vom Staat noch Zulagen
    - "Doppelverdiener", d.h. beide haben so einen Job, wodurch sich die fixen Ausgaben halbieren



  • Danke Marcus für Deine Ausführungen. Ich wollte hauptsächlich darauf hinweisen, dass es zwei unterschiedliche Dinge sind, was für das betroffene Individuum gerade das Optimum darstellt und was "moralisch gerecht" ist und vor allem keines von beidem das andere impliziert. Damit wollte ich hauptsächlich die Argumentation "Ihm geht es ja so besser, also ist die Situation gut so", die hier und eigentlich auch überall sonst in vielen Beiträgen zutage tritt, etwas ins richtige Licht rücken.



  • Gibt es soetwas in Deutschland gar nicht? Wie soll ich denn mit 50€ pro Tag das erreichen können (Stundenlohn 5€ * 10 Stunden, siehe Zitat oben)? Ich nehme mal an 5-Tage-Woche (was anderes wird wohl eh nicht erlaubt sein), 5 * 4,5 Wochen = 22,5 * 50 = €1125 BRUTTO - da bleiben Netto ja niemals nie 1600€ übrig.

    Bezieht Deutschland bereits seinen Wohlstand aus der Sklavenhaltung?

    Nö, aus der Schwarzarbeit... 😉



  • SideWinder schrieb:

    Gibt es soetwas in Deutschland gar nicht? Wie soll ich denn mit 50€ pro Tag das erreichen können (Stundenlohn 5€ * 10 Stunden, siehe Zitat oben)? Ich nehme mal an 5-Tage-Woche (was anderes wird wohl eh nicht erlaubt sein), 5 * 4,5 Wochen = 22,5 * 50 = €1125 BRUTTO - da bleiben Netto ja niemals nie 1600€ übrig.

    Mit einem Tagesschnitt von 10 Stunden kratzt man vermutlich auch wieder an Obergrenzen, ist das überhaupt als dauerhafte durchschnittliche Arbeitszeit erlaubt? Geh von 168 Stunden pro Monat aus.

    SideWinder schrieb:

    Bezieht Deutschland bereits seinen Wohlstand aus der Sklavenhaltung?

    Zum einen das, zum anderen, wie gesagt: Die Schwarzarbeit hat stetes Wachstum vorzuweisen.
    Übrigens, das Problem in Deutschland ist bekanntlich der Spitzensteuersatz. 😉



  • SeppJ schrieb:

    drei Monate in einer südamerikanischen Goldmine zu schuften.

    Sind die Arbeitsbedingungen in südamerikanischen Goldminen mit denen auf deutschen Spargelfeldern zu vergleichen?



  • TGGC schrieb:

    Sind die Arbeitsbedingungen in südamerikanischen Goldminen mit denen auf deutschen Spargelfeldern zu vergleichen?

    Man hätt auch südamerikanische Spargelfelder als Beispiel nehmen können. Aber dann kommt ein anderer Schlaumeier der dann meinen muss dass es bei uns ja auch Spargelfelder gibt und deswegen niemand wegmuss/-darf/-soll; und wieder einem anderen Schlaumeier fällt dann ein dass es da ja keine Spargelfelder gibt und wir doch besser Goldminen nehmen sollten


  • Mod

    scrub schrieb:

    Übrigens, das Problem in Deutschland ist bekanntlich der Spitzensteuersatz. 😉

    Denke ich nicht mal unbedingt, meiner Meinung nach sind die Sozialversicherungsbeiträge ein grösseres Problem, vor allem gegenüber kleinen Selbständigen. Die müssen überall höhere Beträge als ein Arbeitnehmer zahlen, unabhängig vom Gewinn, da ist doch klar dass die ihre Einnahmen irgendwie schwarz aufpolieren _müssen_.



  • Wie kommt man eigentlich auf den Gedanken der Sklavenhaltung?

    Von einer richtigen Sklavenhaltung sind wir nämlich noch weit entfernt. Ich meine, wer ist zum letzten mal erschossen worden, weil er seine Arbeit nicht getan hat? Wer wurde das letzte Mal von seinem Besitzer vergewaltigt? Wo ist denn der Arbeitsnehmer das Besitztum des Arbeitsgebers?

    Eine überzogene Wortwahl... 😞



  • zwutz schrieb:

    südamerikanische Spargelfelder

    Das ist halt schon wieder was Anderes. Ich wuerde glaube, wenn ich keine andere Arbeit finde fuer 50.000 Euro in ein Land mit Deutschland aehnlichen Arbeitsbedingungen Spargelstechen (gut, ich komme vom Land, vielleicht kommt das auch da her) gehen aber niemals fuer 75.000 in die Goldmine.


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