Flüchtlinge polarisieren



  • Ein Essay von Stefan Berg hat mich tatsächlich stutzen lassen. Ertappt habe ich mich gefühlt, als ich mein Genörgel über das Begrüßungsgeld für die Ossis von damals wiedergefunden habe.

    Jo, und mir ist aufgefallen, wie oft sich Bekannte negativ über das Flüchtlingsproblem äußern, ohne daß ich ihnen übers Maul fahre.
    Das Asylrecht existiert bei uns in dieser eigentlich unumstößlichen Form, weil es vielen Deutschen verwehrt wurde, die den Repressalien des Dritten Reichs entkommen wollten. Die sind waggonweise an der Schweizer Grenze zur Umkehr gezwungen worden oder aus vielen anderen Ländern ausgewiesen.

    Alle Ex- Ossis und Ex- Wessis sollten sich erinnern, wie das damals so war. Ohne behaupten zu wollen, eine Lösung für das Problem zu haben, es kann nicht abgeschafft werden, wenn man nicht alle Prinzipien der BRD über Bord wirft, die sie eigentlich zu einem angenehmen Staat gemacht haben.

    Irgendwie haben wir alle das vergessen, wie das so war mit dem Ende des eisernen Vorhangs. Die liberalen Ungarn, die laxen Griechen, die "jetzt wird's besser-" Stimmung. Klar, das war eher ein Gefühl denn Begründbares. Aber das Gefühl geht kaputt, wo's nicht schon hin ist. Und ganz ehrlich, die Flüchtlinge sind nicht das Problem, nicht das Hauptsächliche, sie sind eher Marker, daß bei uns seit einiger Zeit gar nichts mehr stimmt irgendwie.
    Genaugenommen kriegen wir gar nix mehr gebacken.

    Nö, bitte, lest Euch das Essay durch und macht euch mit dem Gedanken vertraut, daß jedes Jahr eine Million rein will. Muß man nicht gut oder schlecht finden, aber zu einem gewissen Pragmatismus finden.
    So jedenfalls geht's auf Dauer ganz fürchterlich in die Hose, soweit sicher.



  • Bashar schrieb:

    Es wird doch niemand gezwungen, sich mit Nazis und Terroristen (oder was soll das Anzünden von Flüchtlingsunterkünften sonst sein?) zu verbrüdern. Wer das tut, hat seine Wahl getroffen.

    Natürlich nicht. Aber ich persönlich war schon immer ein Mensch, der Probleme hat, sich zu irgendwelchen Gruppen zu bekennen. Ich gehöre eben nicht zu denen, die denken, wir können endlos Migranten ins Land lassen, auch wenn noch überhaupt nicht für ihre Unterbringung gesorgt wurde (geschweige denn ihre längerfristigen Perspektiven hier). Ich empfinde das als verantwortungslos. Nach der von Politikern und (deutschen) Medien aber immer schlimmer betriebenen Schwarz-Weiß-Malerei wird man ja mehr oder weniger gezwungen, sich einzuordnen. Ich bin zu selbstehrlich, mich nach Helldeutschland zuzuordnen.

    MrX schrieb:

    Einerseits finde ich es richtig, wenn man die brandschatzenden Spinner, die gerade deutschlandweit Flüchtlingsheime (und das, was sie für solche halten) anzünden, als das bezeichnet, was sie sind. Nur andererseits bringt es nichts, weder gegen die Brandstiftung (die Täter sind nicht in dieses Land integrierbar, weder mit harten noch mit sanften Worten), noch in Bezug auf die Unterbringungs- und Integrationsprobleme (die Flüchtlinge betreffend).

    Natürlich ist das nicht hinnehmbar. Allerdings kann (und sollte) ein Politiker auf seine Wortwahl achten, wenn er so austeilt. Es sind ganz einfach Verbrecher, wozu noch so viele Worte darüber verlieren? Parolen wie "Wir sind das Pack!" zeigen schon deutlich, dass diese Rethorik völlig versagt und verantwortungslos ist.

    MrX schrieb:

    Wenn man die Flüchtlinge unterbringen will (und ich bin dafür), ohne einen Bürgerkrieg zu riskieren (da bin ich erst recht dafür), dann muss man auch rechtzeitig entsprechende Vorkehrungen dafür treffen - gerade wenn die soziale Lage innerhalb Deutschlands nicht positiv ist. Die Flüchtlingsströme sind ja angesichts unserer grandiosen außenpolitischen Erfolge keine große Überraschung - ehrlich gesagt wundert es fast, wieso bislang fast niemand gekommen ist. Aber Merkel, Gabriel und co haben sich für die Sache erst interessiert, als der Baum schon brannte, und dann, fürchte ich, ist alles Löschen schon vergebens. Und die Tatsache, dass es Deutschland doch nicht gut geht, die leugnen sie auch jetzt noch besonders eifrig (denn es fiele ja unter ihre politische Verantwortung), und entsprechend reden und handeln sie auch völlig an dem vorbei, was die Mehrheit wohl denkt/will.

    Das sehe ich genauso. Wenn wir Flüchtlinge aufnehmen und nicht abschieben, übernehmen wir damit auch die Verantwortung über sie. Sobald der Winter kommt, können sie nicht mehr in Zeltstädten wohnen.
    Meiner Ansicht nach müssten schon vor den Grenzen der EU, besonders noch vor dem Mittelmeer, Lager errichtet werden, in denen Flüchtlinge versorgt werden und legal Asyl in Europa beantragen können. Europa koordiniert die gerechte Verteilung der Flüchtlinge und sorgt für deren Unterbringung etc., bevor ein Kontingent per Schiff eingefahren wird. Wer illegal die Grenzen passiert, wird konsequent zurück in die Lager gebracht, no matter what. Das hat meiner Ansicht nach nur Vorteile für alle: die illegale und lebensgefährliche Einreise nach Europa wird sinnlos, da man nicht bleiben kann. Es gibt einen legalen Weg nach Europa. Es ist wenigstens für die weitere Unterbringung der Flüchtlinge in den Ländern gesorgt. Die Flüchtlinge werden gerecht auf Europa verteilt. Es ist quasi ein europäisches Ellis Island.

    In diese unkontrollierten Ströme können sich ganz einfach auch IS-Terroristen untermischen. Syrien-Flüchtlinge müssen nicht einmal mehr zu einer Anhörung. Vor ein paar Monaten war die Sorge vor Einreisenden aus dieser Region noch groß, jetzt werden die Bedenken ignoriert. Das hat alles nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Das ist einfach Pragmatismus. Wir haben einfach überhaupt keine Zeit für Unsinn wie "Dunkeldeutschland", denn es droht für die Flüchtlinge die humanitäre und für die Gesellschaft die soziale Katastrophe.

    Noch eine Anmerkung: Die deutschen Medien haben mal wieder versagt. Die Meinungen sind leider absolut einseitig und genauso polarisierend wie die Reden der Politiker. Sachse wird mehr und mehr zum Schimpfwort. Da tut es gut, mal britische oder amerikanische Ansichten zu lesen im Kontrast zu dem mehr oder weniger gleichgeschalteten deutschen Konsens, der immernoch den Leuten Spokedinger unterjubeln will. Zum mündigen Bürger machen die deutschen Medien jedenfalls sicher nicht.
    Die SZ z.B. erklärt in vielen Zahlen die größten Absurditäten, etwa, dass 140€ Taschengeld pro Erwachsenenmonat (Miete/Essen/Kleidung/Hygieneartikel schon inbegriffen) wenig seien. Als Student lebt man auch nicht unbedingt von wesentlich mehr. Aber ich bin der letzte, der sich gegen deutlich höhere Sozialausgaben aussprechen würde. Nur müssen die dann auch alle erhalten, sowohl der Souverän (das Volk), dem die Politik als erstes verpflichtet ist und den Schutzbedürftigen, über die sie die Verantwortung übernommen hat. Alleine schon, um die offensichtlichen sozialen Unruhen zu vermeiden, die aus solch einer Ungerechtigkeit klarerweise erwachsen würden.



  • pointercrash() schrieb:

    So jedenfalls geht's auf Dauer ganz fürchterlich in die Hose, soweit sicher.

    Da bin ich ganz deiner Meinung.

    Man sollte die Flüchtlinge wenigstens temporär aufnehmen.
    Fraglich aber wann sich die Situation in den Kriegsgebieten bessert...

    Man kann diese Menschen nicht einfach verrecken lassen. Gewalt haben sie wahrscheinlich mehr als genug erlebt. Menschen sind schon irgendwie krank.

    Ich könnte nie jemandem Schaden zufügen und schon gar nicht wenn er bereits auf dem Boden ist und schon alles verloren hat. Auch nicht in meiner depressiven Stimmung.



  • Habe gerade eine Wall of Text vernichtet.
    Ärgerlich.

    Ging darum, daß Muddi ein Asylantenheim besucht, an ihren Ohren zieht und eine Plastikflasche aufhebt. Ein besorgter Bürgermeister bedankt sich und alle applaudieren. Flüchtlingsproblematik gelöst. 👍

    Fragen? --> Mediatheken.

    OK, die Kurzfassung hört sich gespenstischer an als das Original, gibt aber die Kuriosität des Geschehens eingedampft wieder.
    Habe mich bei Wehmut in Memoriam Helmut Kohl erwischt und kein Blitz erschlug mich. Nichtmal darauf ist mehr Verlaß.

    Aber was soll's, das Muddi- Dings macht des schon, des war ja so putzig mit dem Ohr und der Plastikflasche, des wähl' ich wieder. 🙂



  • Wir haben auch ein neues Flüchtlingsheim um die Ecke und ich habe noch nichts negatives gesehen oder gehört. Einmal habe ich ein paar gesehen die den Bauarbeiter bei der der Fertigstellung des Heims geholfen haben.

    Wirklich schlimm waren die Nazi-Demos vor dem Bau. Die Meute leuchtete abends, bei ihrem Marsch durch die Straßen, mit Taschenlampen von der Straße aus in die Wohnungen und grölten ihre Parolen per Megaphon. Meine Kinder bekamen Angst und ich wurde ziemlich sauer auf die. Demonstrationsrecht hin oder her. Ich tausche einen Sack Nazis gegen ein Schiff Flüchtlingen.



  • PushButton schrieb:

    Wir haben auch ein neues Flüchtlingsheim um die Ecke und ich habe noch nichts negatives gesehen oder gehört. Einmal habe ich ein paar gesehen die den Bauarbeiter bei der der Fertigstellung des Heims geholfen haben.

    Wirklich schlimm waren die Nazi-Demos vor dem Bau. Die Meute leuchtete abends, bei ihrem Marsch durch die Straßen, mit Taschenlampen von der Straße aus in die Wohnungen und grölten ihre Parolen per Megaphon. Meine Kinder bekamen Angst und ich wurde ziemlich sauer auf die. Demonstrationsrecht hin oder her. Ich tausche einen Sack Nazis gegen ein Schiff Flüchtlingen.

    Am ekelhaftesten finde ich, dass die Nazis sich als Anwälte einer schweigenden Mehrheit darstellen. So ganz nebenbei zerstören sie auch noch den Ruf unseres Landes, den wir nach 1945 mühsam wieder aufbauen mussten.

    Es gibt nichts Deutschland-feindlicheres, als diese braunen Möchtegern-Patrioten und Pegida-Nazibürger. 😡



  • Oh, ein Thread in dem Nazis und Rassisten darueber ausheulen, dass man Klartext mit Ihnen redet...



  • Sheldor schrieb:

    Man kann diese Menschen nicht einfach verrecken lassen. Gewalt haben sie wahrscheinlich mehr als genug erlebt. Menschen sind schon irgendwie krank.

    Das ist sehr richtig. Man muss jedoch bedenken, dass viele der Flüchtlinge die meiste Gewalt während ihrer Flucht erfahren haben. Es war oft die Flucht selbst, die sie traumatisiert hat. Gerade deshalb wäre das Schaffen eines legalen Einreise-Weges nach Europa so wichtig. Man kann die Zahlen kontrollieren, sodass keine Regionen in Europa überlastet werden und man erspart den Flüchtlingen Tod und Todesangst auf Nussschalen im Mittelmeer oder Krawalle/Hetzjagden mit Hunden auf dem Balkan. Auf illegale Einreise muss einfach konsequent die Abschiebung folgen, nur so wird selbst der Versuch sinnlos und das Geschäftsmodell der Schlepper ist dahin.
    Wenn die Flüchtlinge tatsächlich aus einem Kriegsgebiet kommen und illegal eingereist sind, dann müssen sie in das Sammellager geschickt werden, wo für ihre körperliche Sicherheit und Auskommen gesorgt ist, also ihre elementaren Menschenrechte. Sobald sie dann Asyl von einem Land bekommen haben (was sie ja eh kriegen), dann können sie auch weiter. Das hat überhaupt nichts mit Rassismus zu tun.

    TGGC schrieb:

    Oh, ein Thread in dem Nazis und Rassisten darueber ausheulen, dass man Klartext mit Ihnen redet...

    Du hast den Sinn des Threads scheinbar nicht so verstanden. Die Debatte ist schon so polarisiert, dass bei vielen nur noch der "Nazi"-Trigger ausgelöst wird. Die ehrenamtliche Hilfe Vieler ist vorbildhaft, sofern sie denn aus reiner Nächstenliebe geschieht und nicht aus Selbstzweck, getreu dem Motto "Tue Gutes und rede darüber". Aber auf diese Weise kann und wird es nicht weitergehen, denn auch sie werden früher oder später überfordert sein. Es ist zwar schön, dass sich alle so einträchtig gegen Nazis aussprechen (auch wenn sie mit ihrer Wortwahl die Stimmung mächtig vergiften), aber die sind momentan eher das geringere Problem.



  • Am ekelhaftesten finde ich, dass die Nazis sich als Anwälte einer schweigenden Mehrheit darstellen.

    So wie man zuweilen Leute reden hört, kann man die Befürchtung kriegen, dass diese Behauptung, hinter den Nazis stünde eine schweigende Mehrheit, nicht ganz so weit hergeholt ist. Die Frage dabei ist sicherlich, wie man die "Ich bin kein Nazi, aber..."-Leute und die sog. "besorgten Bürger" einsortiert.

    Die SZ z.B. erklärt in vielen Zahlen die größten Absurditäten, etwa, dass 140€ Taschengeld pro Erwachsenenmonat (Miete/Essen/Kleidung/Hygieneartikel schon inbegriffen) wenig seien. Als Student lebt man auch nicht unbedingt von wesentlich mehr. Aber ich bin der letzte, der sich gegen deutlich höhere Sozialausgaben aussprechen würde. Nur müssen die dann auch alle erhalten, sowohl der Souverän (das Volk), dem die Politik als erstes verpflichtet ist und den Schutzbedürftigen, über die sie die Verantwortung übernommen hat. Alleine schon, um die offensichtlichen sozialen Unruhen zu vermeiden, die aus solch einer Ungerechtigkeit klarerweise erwachsen würden.

    Eigentlich ist die Flüchtlingsdebatte nur der Katalysator für die inneren sozialen Probleme in Deutschland; die Flüchtlinge bekommen eine Art Sündenbock-Funktion. Und das heißt auch, dass man mit Flüchtlingspolitik auch das Kernproblem nicht lösen können wird. Die Öffentlichkeit sucht sich dann einen neuen Sündenbock; von denen hatten wir ja auch schon einige in den letzten Jahren (Arbeitslose, Migranten, Griechen, jetzt Flüchtlinge). Was man wirklich stoppen müsste, ist die Selbstzerstörung unserer Gesellschaft.



  • Jodocus schrieb:

    Du hast den Sinn des Threads scheinbar nicht so verstanden. Die Debatte ist schon so polarisiert, dass bei vielen nur noch der "Nazi"-Trigger ausgelöst wird. Die ehrenamtliche Hilfe Vieler ist vorbildhaft, sofern sie denn aus reiner Nächstenliebe geschieht und nicht aus Selbstzweck, getreu dem Motto "Tue Gutes und rede darüber". Aber auf diese Weise kann und wird es nicht weitergehen, denn auch sie werden früher oder später überfordert sein. Es ist zwar schön, dass sich alle so einträchtig gegen Nazis aussprechen (auch wenn sie mit ihrer Wortwahl die Stimmung mächtig vergiften), aber die sind momentan eher das geringere Problem.

    Oh nein, ich habs sehr genau verstanden! Passiert ja grad schonwieder...



  • Mr X schrieb:

    So wie man zuweilen Leute reden hört, kann man die Befürchtung kriegen, dass diese Behauptung, hinter den Nazis stünde eine schweigende Mehrheit, nicht ganz so weit hergeholt ist. Die Frage dabei ist sicherlich, wie man die "Ich bin kein Nazi, aber..."-Leute und die sog. "besorgten Bürger" einsortiert.

    Ich nehme an es gibt da zwei Hauptströmungen. Die einen sind Rassisten und Fremdenhasser die gezielt Angst und Hass schüren. Die anderen sind ahnungslose Narren, die erster Gruppe auf den Leim gegangen sind.

    Ich denke, die zweite Gruppe stellt die Mehrzahl der Flüchtlingsgegner dar. Ihre Vorurteile lassen sich leicht zerstreuen, indem sie mit Flüchtlingen zusammenkommen, mit ihnen reden und sie kennen lernen.

    Die erste Gruppe ist bösartig und muss mit aller Härte des Rechtsstaates bekämpft werden. Sie zu verharmlosen bzw. einfach nur als Träger einer unpopulären Meinung zu sehen, die auch diskussionswürdig ist, halte ich für einen großen Fehler.



  • Auch wer nur aus Unwissenheit oder Dummheit rassistisch ist, ist ein Rassist. Anzunehmen das man die einen einfach ueberzeugen kann und die anderen nicht, ist eine ziemliche Vereinfachung der Realitaet.



  • Mr X schrieb:

    Die SZ z.B. erklärt in vielen Zahlen die größten Absurditäten, etwa, dass 140€ Taschengeld pro Erwachsenenmonat (Miete/Essen/Kleidung/Hygieneartikel schon inbegriffen) wenig seien. Als Student lebt man auch nicht unbedingt von wesentlich mehr. Aber ich bin der letzte, der sich gegen deutlich höhere Sozialausgaben aussprechen würde. Nur müssen die dann auch alle erhalten, sowohl der Souverän (das Volk), dem die Politik als erstes verpflichtet ist und den Schutzbedürftigen, über die sie die Verantwortung übernommen hat. Alleine schon, um die offensichtlichen sozialen Unruhen zu vermeiden, die aus solch einer Ungerechtigkeit klarerweise erwachsen würden.

    Eigentlich ist die Flüchtlingsdebatte nur der Katalysator für die inneren sozialen Probleme in Deutschland; die Flüchtlinge bekommen eine Art Sündenbock-Funktion. Und das heißt auch, dass man mit Flüchtlingspolitik auch das Kernproblem nicht lösen können wird. Die Öffentlichkeit sucht sich dann einen neuen Sündenbock; von denen hatten wir ja auch schon einige in den letzten Jahren (Arbeitslose, Migranten, Griechen, jetzt Flüchtlinge). Was man wirklich stoppen müsste, ist die Selbstzerstörung unserer Gesellschaft.

    Richtig. Aber was ich nicht verstehe ist, warum die Regierung selbst das Offensichtlichste nicht erkennt: dass das Schaffen von Konkurrenzsituationen zwischen Flüchtlingen und sozial Schwachen genau diese Sündenbock-Situation befeuert und auf jeden Fall in die Hose geht. Damit gefährden sie doch nur ihre eigene Regentschaft. Wirtschaftslobbyisten haben sicher 0 Interesse an sozialen Unruhen. Mit etwas höheren Sozialausgaben würden die immer noch weniger Verlust machen, als durch Straßenkämpfe.

    TGGC schrieb:

    Oh nein, ich habs sehr genau verstanden! Passiert ja grad schonwieder...

    Okay, in dem Fall verwendest du dann den Begriff des Rassismus falsch. In diesem Thread wurde bisher an keiner Stelle irgendjemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft diffamiert, darum geht es (zumindest mir) auch überhaupt nicht. Es ist nichts Edles daran, sich als Kämpfer der Gerechtigkeit zu verstehen, in dem man andere pauschal als Rassisten bezeichnet, nur weil sie nicht 100% meinungskonform sind, sondern sich durchaus auch mal ernsthafte Gedanken machen.
    Es ist so einfach, "Refugees welcome" zu skandieren, ohne aber einen Vorschlag zu präsentieren, wie es funktionieren soll. Wie sieht denn deine Vorstellung davon aus, mit den Migrationswellen umzugehen?

    MrX schrieb:

    So wie man zuweilen Leute reden hört, kann man die Befürchtung kriegen, dass diese Behauptung, hinter den Nazis stünde eine schweigende Mehrheit, nicht ganz so weit hergeholt ist. Die Frage dabei ist sicherlich, wie man die "Ich bin kein Nazi, aber..."-Leute und die sog. "besorgten Bürger" einsortiert.

    Sowohl echte Nazis als auch besorgte Bürger finden sich vor allem im einkommensschwächeren Millieu. Angst treibt beide Gruppen an; Angst davor, das Bisschen, was sie haben, auch noch zu verlieren oder mit anderen teilen zu müssen angesichts der großen sozialen Ungerechtigkeit. Bei Nazis schlägt das eben auch noch in blinden Hass und Gewalt um, bei passiveren Menschen nicht, je nach Psyche des Individuums. Das alles sind nun mal ziemlich normale und vorhersagbare Reaktionen, die all zu menschlich sind. Jetzt kann man entweder die soziale Ungerechtigkeit bekämpfen, welche die Angst auslöst und die Spannungen lösen, sodass dem blinden Hass die Luft ausgeht oder aber man erklärt Leute zu Nazis, zu Menschen, die es eh nicht wert sind, die keine Hilfe verdient haben, die es aus der Gesellschaft auszuschließen gilt und die auch nicht mehr zu retten sind und startet große "Nein zu Faschismus"-Kampagnen, die einfach nur Symptome bekämpfen wollen und dabei automatisch scheitern. Kein Nazi lässt sich davon beeindrucken, das macht sie nur aggressiver und gibt ihnen noch mehr das Gefühl, nicht Teil der Gesellschaft zu sein. Menschen wollen dazugehören. Wenn sie das nicht tun, werden mache traurig oder sogar extremistisch. Mit noch mehr Ausschluss und Beleidigungen und "klaren Zeichen gegen Rechts" wird's aber nicht besser, sondern schlimmer. Genau das wollen viele in Helldeutschland nicht verstehen.

    Andromeda schrieb:

    Die erste Gruppe ist bösartig und muss mit aller Härte des Rechtsstaates bekämpft werden.

    Das sehe ich genauso. Das sind die Demagogen. Aber sie sind auch die Minderheit. Die allermeisten sind einfach Mitläufer, und die gilt es, zurück zu gewinnen und nicht zu verteufeln.

    Edit: Die Bezeichnung "Dunkeldeutschland" ist nicht mal von Gauck. Das war eines der Kandidaten der Unwörter des Jahres 1994 - natürlich für Ostdeutschland: https://de.wikipedia.org/wiki/Unwort_des_Jahres_(Deutschland)#Weitere_Kandidaten



  • Richtig. Aber was ich nicht verstehe ist, warum die Regierung selbst das Offensichtlichste nicht erkennt: dass das Schaffen von Konkurrenzsituationen zwischen Flüchtlingen und sozial Schwachen genau diese Sündenbock-Situation befeuert und auf jeden Fall in die Hose geht. Damit gefährden sie doch nur ihre eigene Regentschaft. Wirtschaftslobbyisten haben sicher 0 Interesse an sozialen Unruhen. Mit etwas höheren Sozialausgaben würden die immer noch weniger Verlust machen, als durch Straßenkämpfe.

    Wenn man aber der Auffassung ist, dass Sozialausgaben grundsätzlich falsch oder grundsätzlich nicht finanzierbar sind, wird man deiner Argumentation nicht folgen wollen. Und genau das ist die Grundhaltung der Wirtschaftslobbyisten, Politiker und (paradoxerweise) auch vieler "normaler" Bürger. Diese Haltung ist uns so in die Köpfe gehämmert worden, dass das so leicht nicht abzuschütteln ist. In der Logik müssen wir nämlich nicht die Sozialleistungen erhöhen, sondern dagegen den Gürtel noch enger schnallen, um die Lage zu verbessern (oder "Chancen" entstehen zu lassen - das Modewort der Neoliberalen schlechthin). Es ist ein bisschen masochistisch, aber die Mehrheit ist für Maßnahmen, die die Misere der Gesellschaft verschlimmert. Das erklärt für mich hinreichend, warum die Politik so ratlos ist.

    Mit noch mehr Ausschluss und Beleidigungen und "klaren Zeichen gegen Rechts" wird's aber nicht besser, sondern schlimmer.

    Kampagnen gegen Rechts wirken eigentlich nur mobilisierend auf die eigene Klientel (was dann die Sache potentiell hochschaukeln kann). Ursachenbekämpfung wäre nötig...



  • Hi,

    wie währe es denn, mit einfach mal ein bisschen nachrechnen?
    es wird immer gesagt, 800.000 sind gerade mal 1 Prozent von 80 Millionen. Das kann Deutschland doch lässig stemmen. Nur verkennt man dabei ein paar Kleinigkeiten:

    1. Bei den 800.000 wird es nicht bleiben. Allein dieses Jahr sind eigentlich eher an die 2 Millionen zu erwarten. Ende letzten Jahres waren es noch 200.000, Im Frühjahr schon 450.000 jetzt im Sommer 800.000. Das harmoniert sehr gut mit einer quadratischen Kurve, für das Jahresende sind gut 2 Millionen zu erwarten, und für das nächste Jahr... Der Einfachheit rechne ich mal mit 1 Million.

    2. 90% von denen sind einfach nur junge Männer. Nach entsprechendem Familiennachzug werden aus den 1 Million dann ganz schnell 5 Millionen.

    3. Die Mär von den ganzen Ärzten und Ingenieuren glaubt sowieso keiner mehr. Nach Henryk M. Broder importieren wir hier das zukünftige Lumpenproletariat von heute und Morgen.

    4. Man kann bei Vergleichen nicht von den 80 Millionen Deutschen ausgehen. Nettosteuerzahler, die das ganze Erwirtschaften, bzw. wirklich produktiv tätige Mitbürger, die die materiellen Voraussetzungen erst mal erarbeiten müssen haben wir in Deutschland je nach Rechnung 20 - 25 Millionen.
    Damit haben wir nur mit den in diesem Jahr zu erwartenden Flüchtlingen und ihrem Familiennachzug nicht mehr ein Verhältnis von 1 zu 100, sondern von 1 zu 4-5

    Wie soll das jetzt zu schaffen sein, vor allem wenn nebenbei noch jedes Jahr Griechenland mit zweistelligen Milliardensummen gerettet werden muss, die Ukraine nach den nächsten Milliarden schreit...
    Das alles in einem Land, wo schon lange vor der Wende und dem dazukommen von 16 Millionen Ossis von Mitgliedern der Christlichen Parteien die Zustände mit so netten Worten wie "Rentner-Schwemme" bezeichnet wurde und wo Mitglieder eben jener Christlichen Parteien von einem "Sozialverträglichen Frühableben" träumten
    Beides Begriffe die von Politikern jener Christlichen Parteien gebraucht wurden.

    So, nun Verratet mir mal die Quadratur des Kreises.

    Gruß Mümmel



  • mümmel, was willst Du, eine systemische Analyse? Mit Lösungsvorschlägen womöglich? Auf welcher Ebene soll was gelöst werden?
    Oder nur eine Prognose?

    Ich habs so ungefähr schon formuliert. Die Flüchtlinge sind nicht das Problem, sie sind nur eine Folge vieler Fehler und daß man ihnen nicht vernünftig Herr wird, zeigt, wie kaputt Europa ist.

    Wir haben gut zwei, drei Jahrzehnte der Destabilisierung im arabischen, nordafrikanischen und vorderasiatischen Raum hinter uns und sind völlig unvorbereitet, daß daraus irgendwann ein Flüchlingsstrom erwächst?

    Ja, war ja auch irgendwie doof, uns ausgerechnet da zu erwischen, wo sich die Folgen einer auf vielen kapitalen Fehlern basierende Gemeinschaftswährung auszuwirken beginnen. Hat ja auch niemand ahnen können, obwohl ... 🙄

    Ein Europa, dessen Hauptmotor in einer alternden Gesellschaft besteht, die sich dem Austeritätscredo verschrieben hat und es als Allheilmedizin ansieht, ohne zu feedbacken, daß es gerade sein eigenes Gefüge zerreißt?

    Sagen wir's mal so: Mit Zäunen wird das nix.
    Macht's wie Muddi: Ohren offenhalten und Plastikflaschen sammeln und alles wird gut! 👍



  • Oder nur eine Prognose?

    Die hat er ja schon selbst geliefert. Anhand dieser quadratischen Kurve können wir uns dann auch ausrechnen, wann hier mehr Menschen einwandern, als die Welt an Einwohnern zählt...

    Nein, ich denke, muemmel möchte einen Lösungsvorschlag, aber den kann ich zumindest nicht liefern, weil ich die Sache - wenn auch auf völlig andere Art als er - als katastrophalen Vorgang sehe, bei dem jede Lösung durch die gesellschaftlich-politischen Zustände verbaut zu sein scheint. Zumal soviele Fehler bereits begangen wurden, dass es schwer fällt, an die Möglichkeit einer Korrektur zu glauben.



  • Mr X schrieb:

    Nein, ich denke, muemmel möchte einen Lösungsvorschlag, aber den kann ich zumindest nicht liefern, weil ich die Sache - wenn auch auf völlig andere Art als er - als katastrophalen Vorgang sehe, bei dem jede Lösung durch die gesellschaftlich-politischen Zustände verbaut zu sein scheint. Zumal soviele Fehler bereits begangen wurden, dass es schwer fällt, an die Möglichkeit einer Korrektur zu glauben.

    Ich sehe für die nächste Zukunft nur zwei Szenarien: entweder Deutschland lässt es drauf ankommen und belastet die soziale Stabilität bis zum Zusammenbruch und riskiert einen drastischen Rechtsruck oder die Schotten werden auf drakonische Weise dicht gemacht (wie man es z.B. von der US-mexikanischen Grenze kennt). Ich halte letzteres für wahrscheinlicher, denn das ist im Prinzip eh das, was die allermeisten anderen EU-Länder außer Deutschland, Schweden, Österreich & co längst wollen.
    Das sind beides keine schönen Szenarien, aber etwas anderes kann ich mir angesichts der allgegenwärtigen Alternativ- und Ratlosigkeit nicht vorstellen. Ich höre bisher jedenfalls niemanden laut rufen, die Sozialpolitik drastisch zu ändern und mit der Austerität zu brechen. Und so nimmt es seinen Lauf.



  • Mr X schrieb:

    ... als katastrophalen Vorgang sehe, bei dem jede Lösung durch die gesellschaftlich-politischen Zustände verbaut zu sein scheint. Zumal soviele Fehler bereits begangen wurden, dass es schwer fällt, an die Möglichkeit einer Korrektur zu glauben.

    Tadaa!
    Das war es, was ich meinte, wenngleich mit weniger Worten. Ein Wahlslogan '87 war:

    Wir sind auf einem guten Weg. Deshalb: Weiter so, Deutschland. CDU - die Zukunft

    Das Schlimmste daran ist: Sie haben das Versprechen gehalten. 🙄
    Einfach immer so weitergewurstelt, alles aufgeschoben.

    So, strukturell sind wir nicht wesentlich besser aufgestellt als '87.

    Und jetzt, wo wirklich Weichen gestellt werden müssen, freut sich das Volk über einen Kanzlerin, der die Ohren offenhalten will. Ich fall' vom Glauben ab. Echt.



  • Wo wir gerade darüber diskutieren, sehe ich diesen interessanten Artikel eines früheren Asylrichters: http://www.nachdenkseiten.de/?p=27362


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