der untergang sorgfältiger berichterstattung?



  • Hallo

    Schneewittchen schrieb:

    Ich bin kein Befürworter von nicht-freiheitlichen und totalitären Systemen, aber ich werfe mal eine Frage in den Raum:
    Inwiefern ist diese (deiner Interpretation entsprechend) "freie" Presse besser als eine staatlich kontrollierte Presse? In meinen Augen ist diese "freie" kein bisschen besser.
    Es spielt doch absolut keine Rolle, ob hinter einer Pressemitteilung staatliche Interessen stecken oder solche von Lobbyisten/Ähnlichen. In beiden Fällen ist die Pressemeldung "angepasst" an die Interessen Dritter, und man bekommt nicht die objektive Wahrheit.

    Der Unterschied ist doch nun wirklich eindeutig: Ein Staat hat ein Meinungsmonopol, aber in unserem System kann zwar jeder schreiben, was er will (zumindest fast) und natürlich auch totalen Blödsinn, aber du hast die Möglichkeit dir viele verschiedene Meinungen einzuholen. Das sollte man nicht unterschätzen. Auch wenn es eine Binsenweisheit ist: Wahrheit als solches gibt es kaum oder gar nicht und in einer freien Presselandschaft hast du dir Möglichkeit dir Interpretationen völlig verschiedener Lobbygruppen anzuhören.

    Wie stellst du dir eigentlich wertungsfreie Presse vor? Schon das Auswählen der Themen ist Meinungsmache. Was du willst, ist eine reine Theorie und kann in der Praxis nicht funktionieren.

    chrische



  • Ich habe keineswegs die freie Presse verurteilt. Ich veruteile vielmehr die in meinen Augen sehr naive Vorstellung dass es für alles etwas perfektes geben muss. Mit der Presse ist es wie mit vielen anderen Dingen auch: für jeden positiven Aspekt den ein System bekommt muss man auch Nachteile in Kauf nehmen. Genauso ist die Pressefreiheit ein zweischneidiges Schwert: für die Möglichkeit, Berichterstattung aus mehr als einem Blickwinkel erhalten zu können, erhalten wir die Notwendigkeit (und imho die Pflicht), die Informationen zu filtern und nicht alles sofort für bare Münze zu nehmen. Aus der Freiheit, dass der Inhalt der Presse nicht vom Staat oder einem anderen Organ vorgegeben wird, entsteht der Nachteil, dass sie der freien Marktwirtschaft unterliegt und sich damit das durchsetzt, was sich am Besten verkauft, nämlich Meinungsmache und Sensationen. So betrachtet ist der angeprangerte Untergang der sorgfältigen Berichterstattung nur ein Abbild der Gesellschaft die kein Interesse an sorgfältiger Berichterstattung hat. Wir leben in einer "Bildzeitungsgesellschaft" 🙄



  • pumuckl schrieb:

    IAus der Freiheit, dass der Inhalt der Presse nicht vom Staat oder einem anderen Organ vorgegeben wird, entsteht der Nachteil, dass sie der freien Marktwirtschaft unterliegt und sich damit das durchsetzt, was sich am Besten verkauft, nämlich Meinungsmache und Sensationen.

    Was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wertvoll macht 👍 (Obwohl der sich ja auch Quoten-Druck macht.)

    pumuckl schrieb:

    So betrachtet ist der angeprangerte Untergang der sorgfältigen Berichterstattung nur ein Abbild der Gesellschaft die kein Interesse an sorgfältiger Berichterstattung hat. Wir leben in einer "Bildzeitungsgesellschaft" 🙄

    Ach, Schwarzseher 🙂 Es gibt genug seriöse und gute Nachrichten und Zeitungen, die auch von genug Menschen gelesen werden. Und besser die Bildzeitung wird gelesen, als nur noch reiner Boulevard.



  • Badestrand schrieb:

    Und besser die Bildzeitung wird gelesen, als nur noch reiner Boulevard.

    Meinst du das Ernst? Wo ist in deinen Augen noch der Unterschied?



  • pumuckl schrieb:

    Badestrand schrieb:

    Und besser die Bildzeitung wird gelesen, als nur noch reiner Boulevard.

    Meinst du das Ernst? Wo ist in deinen Augen noch der Unterschied?

    Ja, ich meine das Ernst 🙂 Ich kenne die Bildzeitung zwar nur aus gelegentlichem Augen-Drüberschweifen am Kiosk und bildblog.de, aber soweit ich weiß, finden sich dort auch ab und zu Fünfzeiler über neue Gesetze, politische Rangeleien oder Ähnlichem. Sicherlich sind die Informationen darin verglichen mit anderen Zeitungen lachhaft, aber die Tatsache, dass überhaupt noch politisches drin ist, beruhigt mich. Gefährlich/Bedenklich finde ich eher Leser(innen), die sich nur mit der "Gala", "Bunte", "Auto Bild" o.Ä. befassen und die Welt der Politik und Wissenschaft völlig aus der Wahrnehmung verlieren. Ich möchte wetten, dass durchaus viele Bildzeitungs-Leser "Stammtisch-Kandidaten" sind; was bedeutet, dass Interesse und Diskussionswille durchaus vorhanden sind 🙂

    PS: Erinnerst du dich noch an die Ö-KO-Steuer Aufkleber an Autos, die wohl in der BILD drin waren? Wenn das mal nicht politisches Engagement ist 😃 🤡



  • Badestrand schrieb:

    aber soweit ich weiß, finden sich dort auch ab und zu Fünfzeiler über neue Gesetze, politische Rangeleien oder Ähnlichem. Sicherlich sind die Informationen darin verglichen mit anderen Zeitungen lachhaft, [...] Ich möchte wetten, dass durchaus viele Bildzeitungs-Leser "Stammtisch-Kandidaten" sind; was bedeutet, dass Interesse und Diskussionswille durchaus vorhanden sind

    Ich frage mich ehrlich gesagt manchmal, was wirkich gefährlicher ist: Jemand, der dem modernen Voyeurismus frönt und sich die Affären irgendwelcher Promis und möchtegern-Adligen unter der Lupe/Bunte/etc. betrachtet und sich ganz harmlos beim Kaffeekränzchen darüber auslässt, oder jemand der mit vorgeBILDeter Meinung nach dem Genuss von 5 Zeilen pauschalisiertem Halbwissen über neue Gesetze an den Stammtisch und die Wahlurne geht.

    Bevor mir jetzt jemand an die Kehle geht: ich möchte niemandem das Recht absprechen, mit einer eigenen Meinung wählen zu gehen und damit die Politik zu beeinflussen. Die Leute haben sogar die Pflicht dazu, sich eine eigene Meinung zu bilden (egal wie sie aussieht), statt sich eine am Kiosk zu kaufen weil sie zu faul sind selber mal nachzudenken (was leider viel zu oft der Fall ist).



  • pumuckl schrieb:

    statt sich eine ["eigene" Meinung] am Kiosk zu kaufen weil sie zu faul sind selber mal nachzudenken (was leider viel zu oft der Fall ist).

    Das trifft es ganz gut. Vielen kann man jeden Dreck auftischen, ohne dass sie sich Gedanken machen, ob das überhaupt sein kann. Dieser Dreck sollte sich dann halt möglichst nach einem Skandal anhören (auch wenn's eigentlich keiner ist), sonst interessiert es keinen.



  • pumuckl schrieb:

    modernen Voyeurismus

    Genau so wenig wie irgendwelche Medien neuerdings schlechter werden und an Qualität verlieren, ist an diesen Klatschblättern auch nichts neues. Klar, weiß man ja, früher war der Himmel blauer und selbst die Menschen schöner. Aber nur weil es früher keine Klatschblätter gab, macht das das Phänomen auf Leserseite noch lange nicht neu oder gar modern. Konnte man früher vorzüglich über Nachbarn oder Mit-Dorfbewohner lästern, kennt man die Nachbarn heutzutage in vielen Gegenden überhaupt nicht mehr. Das Klatschbedürfnis ist aber dennoch da. Und das müssen dann eben andere, in dem Fall "Prominente", ausbaden. Und so wie die Welt früher nicht unterging, nur weil man den Sohn vom Müller mit der Fischerstochter hinter der großen Mühle gesehen hat, so wird auch in Zukunft nicht die Welt aufgrund irgendwelcher "Promi-News" untergehen.



  • Hi,

    minhen schrieb:

    Und so wie die Welt früher nicht unterging, nur weil man den Sohn vom Müller mit der Fischerstochter hinter der großen Mühle gesehen hat, so wird auch in Zukunft nicht die Welt aufgrund irgendwelcher "Promi-News" untergehen.

    wohl nicht, aber es ich glaube schon, dass die Welt dadurch zumindest nicht besser wird. Denn durch diese ganze Infomationsflut, die durch solche Phänomene wie Twitter verstärkt und verdeutlicht wird, wird es schwieriger, wichtige Informationen von dem Schund zu trennen. Natürlich ist das immer sehr subjektiv, denn für den einen ist es nunmal wichtig, ob Bill von Tokyo Hotel eine Freundin hat oder nicht, und für den anderen ist eben die Unterdrückung der Tibeter das Hauptthema, aber das Filtern der Informationen wird immer schwieriger.

    Und wenn es mühsam ist, sich auf dem Laufenden zu halten, machen es einige eben gar nicht mehr, oder lesen eben nur noch einfach zu verstehenden Mist. Aber das sich Qualität über kurz oder lang meistens durchsetzt, seh ich das nicht so eng. 🙂



  • CarstenJ schrieb:

    minhen schrieb:

    Und so wie die Welt früher nicht unterging, nur weil man den Sohn vom Müller mit der Fischerstochter hinter der großen Mühle gesehen hat, so wird auch in Zukunft nicht die Welt aufgrund irgendwelcher "Promi-News" untergehen.

    wohl nicht, aber es ich glaube schon, dass die Welt dadurch zumindest nicht besser wird. Denn durch diese ganze Infomationsflut, die durch solche Phänomene wie Twitter verstärkt und verdeutlicht wird, wird es schwieriger, wichtige Informationen von dem Schund zu trennen. Natürlich ist das immer sehr subjektiv, denn für den einen ist es nunmal wichtig, ob Bill von Tokyo Hotel eine Freundin hat oder nicht, und für den anderen ist eben die Unterdrückung der Tibeter das Hauptthema, aber das Filtern der Informationen wird immer schwieriger.

    Naja, die Informationsmenge nimmt zu, das ist sicher richtig. Aber der Rest ist doch einfach ausgedacht.

    Ich kann mir meinen Reader so einstellen, das ich nur bestimmte Teile bestimmter Zeitungen lesen muß, Analysen von economist.com, Kulturteil der Frankfurter Rundschau und Internationale Politik von der Neue Zürcher Zeitung oder so. Abgesehen davon kann ich mittlerweile Zeitungen, die über sehr spezielle Themen schreiben (Private Raumfahrt oder das Sammeln von Sowjet-Eisenbahn-Fotos) abonnieren -- Dinge, die vielleicht irgendwo tausende Kilometer weit weg geschrieben werden. Und dann kann ich mir das alles vernünftig sortieren und aufbereiten lassen und ich kann es auf meinem Handy lesen!

    Die "großen" Schlagzeilen werden größer und bedienen eine große Kundschaft, aber die "kleinen" Publikationen werden auch größer und besser vernetzt. Ist ja auch klar, dank Globalisierung vergrößert sich auch deren Markt.

    Das ist übrigens hier kein Spezialfall, meistens gehen Diversität und Massenmärkte paradoxerweise(*) Hand in Hand. Die Hauptmusikmarkt wird von ein paar großen Labels abgedeckt, aber ich kann mir mit fünf Clicks eine exotische indische CD kaufen. Der Hauptessensmarkt mag zunehmend von McDonald's&Co. abgedeckt werden, aber ich kann auch um die Straßenecke gehen und finde nicht nur einen Italiener und Griechen, sondern einen Thailänder, Inder und Araber -- und dazu noch ein Bayerisches Wirtshaus.

    Das sind alles Sachen, die es vor 20 Jahren einfach noch nicht gab. Da gab es halt im wesentlichen das Wirtshaus und vielleicht den Italiener. An ausländische Musik kam man am einfachsten per Flugzeug.

    (*): Das ist natürlich gar nicht paradox, sondern einfach "Gains from Trade".


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