Bioinformatik studiern


  • Mod

    Wie gesagt, hütet Euch vor Mischwesen - entweder ist man Fisch oder Fleisch. Je spezialisierter ein Studiengang ist, desto geringer ist die Marktnische. Das Interesse an einem Fachgebiet (hier: Bioinformatik) bedeutet nicht zwangsläufig, daß man dieses Fachgebiet studieren muß.

    Sobald ein Personalchef nämlich bei einem Spezialstudium fragen muß "was macht man da eigentlich?" hat man seine Chancen reduziert.

    Einer meiner Cousins ist auf sowas vor vielen Jahren reingefallen, er hatte Mitte der 80er Umwelttechnik studiert, als dieser Studiengang ganz neu war. Er hatte riesige Probleme in diesem Feld eine Stelle zu bekommen, vor allem weil keiner weiß, was ein Umwelttechnik-Ingenieur eigentlich kann. Kennt er mechanische Konstruktion? Oder Biologie? Oder Bauingenieurfragen zu Gewässertechnik? Was weiß der eigentlich? Für den Personalchef ist's in dem Fall einfacher, die Unterlagen einfach auszusortieren. Mein Cousin hatte dann später nochmal Etechnik nachstudiert und arbeitet heute als Softwareentwickler. Umgekehrt gelang es einem meiner Kommilitonen, nach seinem Etechnik-Studium eine Stelle als Umwelttechnik-Ingenieur zu bekommen - weil man dem breitbandig aufgestellten Ingenieur zutraut, daß er sich in diese Materie einarbeiten kann, sofern er nur will.



  • dreaddy schrieb:

    "Bioinformatiker entwickeln Software für medizinische xyz in Krankenhäusern" undso, aber ich bezweifle das dort die Mehrheit etwas findet.

    Da stimme ich dir zu. Für sowas reicht ein Durchschnitts-Fachinformatiker natürlich auch voll aus. Bei Größerem ist man auch mit Diplom-Informatikern glücklich. Wenn's aber richtig zur Sache und in die Materie geht, nimmt man den, der das beherrscht: den Bioinformatiker.
    Nur wenn man da keinen findet, greift man auf einen Allrounder zurück, unser normale Informatiker, der dann aber natürlich erst entsprechend nachgeschult werden muss. Als Informatiker ist man eben weder Fisch noch Fleisch.



  • Ich würd ja nach wie vor sagen, dass ein Bioinformatiker mehr von Biologie und Chemie verstehn muss, als von Informatik. Von Biomolekülen, den Vorgängen in der Zelle, Protein-Interaktionen etc. sollte man nicht nur Bescheid wissen.
    Unsere Computational Chemistry Leute sind als PhD in Chemie, zT mit Nachdiplomstudiengängen. Die entwickeln ihre Software selber. Auch unser oberster Datenbank Verwalter ist ein Chemiker.

    Meine Empfehlung, und dass wird vermutlich auch mein eigener Bildungsweg werden,
    mindestens einen Bachelor in Biologie II, und erst danach spezialisieren.



  • minhen schrieb:

    Als Informatiker ist man eben weder Fisch noch Fleisch.

    WTF!? Als Informatiker ist man saftigstes Putenfleisch!



  • Sobald ein Personalchef nämlich bei einem Spezialstudium fragen muß "was macht man da eigentlich?" hat man seine Chancen reduziert.

    Ist als Pauschalaussage imho Unsinn.
    Es kommt zunächst immer darauf an, die Aufmerksamkeit des Personalers zu erhalten, und da hat man mit einem exotischen Studiengang u.U. schon mal einen Bonuspunkt gegenüber der Einheitsmasse.

    Mal ehrlich, wer braucht heute noch einen Informatiker, Maschinenbauer, Elektrotechniker, usw. der von nichts weiter eine Ahnung hat ausser von den Inhalten seiner jeweiligen speziellen Pflichtfächer?
    Studium generale, Nebenfächer... Alles Maßnahmen, um die Studenten für den Markt interessant zu machen. Eine breite Ausbildung, das ist das Ziel der Universität. Die Vertiefung kommt im Job, vorher macht es wenig Sinn, sich selbst Scheuklappen anzulegen.


  • Mod

    Thomas++ schrieb:

    Es kommt zunächst immer darauf an, die Aufmerksamkeit des Personalers zu erhalten, und da hat man mit einem exotischen Studiengang u.U. schon mal einen Bonuspunkt gegenüber der Einheitsmasse.

    Dir ist klar, daß auf eine offene Stelle zur Zeit ungefähr 100 Bewerbungen kommen?

    Der hat links eine Checkliste mit Anforderungen, und rechts Dein Anschreiben, und dann macht er Häkchen - und wenn mehr als 95% der Forderungen passen, schaut er überhaupt erst in den Lebenslauf.

    Du mußt Dich mal mit Personalern unterhalten. Oder lies die Glosse von Heico Mell in den VDI-Nachrichten zu diesen Themen.

    Thomas++ schrieb:

    Mal ehrlich, wer braucht heute noch einen Informatiker, Maschinenbauer, Elektrotechniker, usw. der von nichts weiter eine Ahnung hat ausser von den Inhalten seiner jeweiligen speziellen Pflichtfächer.

    Den hat noch nie jemand gebraucht. Der war auch vor 20 Jahren noch nicht gefragt. Das Studium ist die Grundlage, um sich Wissen in den Spezialgebieten des Arbeitsgebiets anzueignen, und dient nicht der Vermittlung von Spezialkenntnissen.

    Gerade ein Elektrotechnik- oder Maschinenbaustudium ist eine breit angelegte Ausbildung.



  • Marc++us schrieb:

    Du mußt Dich mal mit Personalern unterhalten. Oder lies die Glosse von Heico Mell in den VDI-Nachrichten zu diesen Themen.

    Heiko Mell, VDI nachrichten Nr. 13, 31.3.2006:
    (...) Wobei dann noch ein wichtiges Argument hinzukommt: Die Chancen zum Berufseinstieg verbessern sich, je besser die Examensnote ausfällt. Ein neigungsorientiertes Studium hilft dabei wieder sehr. (...)
    (...) Generell ist Vorsicht anzuraten bei Studiengängen oder -spezialisierungen, die ganz neu sind. Unabhängig vom etwa vorhandenen Bedarf in der Wirtschaft haben die ersten Absolventenjahrgänge oft den Nachteil, dass "kein Mensch" die entsprechende Bezeichnung kennt und die Bewerber auch noch um generelle Akzeptanz kämpfen müssen. (...)
    (...) Pauschal gilt: Jede Spezialisierung erleichtert das Hineinkommen in Unternehmen und Positionen, zu denen diese Ausrichtung passt - und erschwert es, in nicht dazu passenden Jobs Fuß zu fassen. Dies alles gilt in sehr breitem Zusammenhang. (...)

    Das Fettgedruckte ist der Punkt, den ich die ganze Zeit zu vermitteln versuche. Ein Spezialist kommt nicht überall (oder nur schwerer) dort unter, wo ein Allgemeiner unterkommt. Aber wenn's um das Gebiet des Spezialisten geht, dann nimmt man den Spezialisten und nicht den Allgemeinen. Der Allgemeine hat dann nur eine Chance, wenn es keinen gleichwertigen Spezialisten gibt.

    Wenn ein Biotechnologie-Unternehmen eine entsprechende Stelle besetzen will, dann hat der Informatiker das Nachsehen. Denn dieser muss erst mal beweisen, warum ausgerechnet er besser geeignet sein soll als ein entsprechender Bioinformatiker. Um so mehr als dass, wenn "auf eine offene Stelle zur Zeit ungefähr 100 Bewerbungen kommen", der Allgemeine damit rechnen muss, dass darunter auch Spezialisten sind.



  • Das nützt natürlich richtig viel, wenn man bei 1% der offenen Stellen seine Chancen verbessert und bei 99% massiv verschlechtert.
    Wieviele Stellen in dem Bereich gibt es denn jetzt und wieviele voraussichtlich in vier Jahren?
    Und selbst wenn es direkt nach dem Studium relativ viele offene Stellen gibt, wie sieht es dann in 15 Jahren aus?
    Normalerweise kann man sein Wissen nach einigen Jahren in die Tonne treten als Informatiker weil sich alles ändert, direkt DANACH in Sachen Wissensverfall folgt die Medizin.
    Als Spezialist ist man da dann unflexibel uns sein Bereich ist dicht, was dann?
    Ein Beispiel:
    Automatisch erstellte Software, also Software wo irgendwer nurnoch sagt "das will ich haben, das das und das, klick fertig ist die Anwendung" ist zur Zeit stark in der Entwicklung, teilweise schon umgesetzt(Handys) und evtl die Zukunft.
    Setzt sich sowas durch und erscheint, ist es aus mit "Software für Krankenhäuse entwickeln", weil es dann einen Software-für-Krankenhäuser-Generator gibt.
    Sowas zieht sich durch die gesamte Informatik, alles ist ständig im Wandel, wer da nicht flexibel ist, stirbt.
    Die größte Stärke von Studierten IST die Flexiblität, nicht Fachwissen in einem bestimmten Bereich, dafür kann man auch 'Ungebildete' anlernen.

    Es ist es momentan eh egal was man studiert, da jeder der halbwegs erfolgreich irgendwas mit Informatik studiert hat im Moment einen Job bekommt, zumindest meine momentanen Erfahrungen.
    Aber man will ja auch nicht in einigen Jahren arbeitslos sein.



  • Marc++us schrieb:

    Dir ist klar, daß auf eine offene Stelle zur Zeit ungefähr 100 Bewerbungen kommen?

    Interessant, von so einer hohen Bewerberzahl war ich bisher nur bei Stellen für gering qualifizierte Personen ausgegangen. Auf welche Art von Stellen gibt es denn so 100 Bewerbungen im Schnitt? Typische Dipl.-Inf.-Stellen? Wenn Du da einen Überblick hast: Könntest Du ein bischen dazu sagen, was für Leute sich auf solche Stellen bewerben? Passen die meisten ins Profil oder eher doch nicht, haben die Bewerber typischerweise eine hohe Qualifikation oder ist alles bis auf wenige Ausnahmen nicht wirklich akzeptabel? ...usw.?


  • Mod

    Das gilt für mittlere und gehobene Akademikerstellen und ist eine Wert von einer Personal-Coaching-Firma, also nicht speziell Informatiker. Die Zahlen sind ganz frisch, erst 4 Wochen alt.

    Da ist alles gesammelt, Qualifikation zu hoch, zu niedrig, von Frischlingen bis hin zu verzweifelten 50jährigen... gibt kein Muster. Nur generell bleibt es so, daß jede 2. Bewerbung fehlerhaft ist (Rechtschreibung, falsche Namen, Copy&Paste-Fehler, lückenhafter Lebenslauf, usw).

    [Daher sind solche Fallen, daß man die Bewerbungsmappen zum Beispiel nicht schnell überblicken kann tatsächlich KO-Kriterien - der Leser legt die gleich weg, da genug andere zur Verfügung stehen.]

    Weitere Zahlen:

    Für 1 Bewerbungsgespräch braucht man im Schnitt 40 Bewerbungen.
    Aus 3 Bewerbungsgesprächen entsteht 1 Arbeitsverhältnis.

    Aber diese Zahlen sind generelle Mittelwerte, nicht nur für Akademiker, sondern Industrieberufe (also auch Büro und kaufmännischer Bereich).

    Und wie Ihr natürlich als Techniker wisst: die Ausnahme, daß man mit einem einzigen Schreiben einen Job bekommt, wird von dieser Verteilung durchaus abgedeckt und wiederlegt sie nicht. 😉



  • dreaddy schrieb:

    Das nützt natürlich richtig viel, wenn man bei 1% der offenen Stellen seine Chancen verbessert und bei 99% massiv verschlechtert.

    Wer Bioinformatik studiert, will auch Bioinformatik arbeiten, d.h. interessiert sich eigentlich nicht für deine ausgedachten 99%. Genauso kann jeder Mathematiker jedem Informatiker vorwerfen, er würde sich mit seiner Beschränkung auf "Informationsmathematik" seiner Chancen als Mathematiker berauben. Bioinformatik steht in der Tat zur Informatik wie Informatik zur Mathematik (das jeweils Letztere ist ein Werkzeug für Problemstellungen des jeweils Ersteren).

    Als Spezialist ist man da dann unflexibel uns sein Bereich ist dicht, was dann?

    Obwohl hier in diesem Forum diese Fähigkeit anscheinend aus Prinzip grundsätzlich nur Informatikern zugebilligt wird: im Zweifelsfall kann man sich noch immer in andere Gebiete einarbeiten oder schon relativ einfach während des Studiums wechseln. Alle "Informatik-Mischstudien" haben ein fast vollständiges Informatik-Grundstudium. An unserer Uni hocken die Bioinformatiker, Medieninformatiker usw sogar in ein und den selben Vorlesungen wie die Diplom-Informatiker.

    Setzt sich sowas durch und erscheint, ist es aus mit "Software für Krankenhäuse entwickeln", weil es dann einen Software-für-Krankenhäuser-Generator gibt.

    Stimmt, damit hat dann ein Fachinformatik-Coding-Sklave - wie schon erwähnt 🙄 - wirklich ein Problem. Aber einen Bioinformatiker interessiert das genau so viel wie einen Informatiker.



  • Hat irgentjemand eigentlich Erfahrungen mit "Computermathematik" (wird in Aachen angeboten) oder mit "Mathematik mit wissenschaftlichen Rechnen"(beispielsweise in Heidelberg angeboten)?


Anmelden zum Antworten