Ist eine höhere Gewalt für moralisches Handeln notwendig?



  • minhen schrieb:

    Da hast du mich falsch verstanden. Ich meinte, dass katholische Priester durch Übergriffe auf Kinder auffallen. Bestünde bei den Tätern wirklich kein Unterschied zu anderen Tätern, dürfte nicht speziell die katholische Gruppe auffallen. Stattdessen müsste es eine Gleichverteilung geben und es sollten gleichviele evangelische, jüdische, muslimische oder andere Geistliche auffallen. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall.

    Was macht dich glauben, dass (Medien)Berichterstattung nach der Tatsächlichen Häufigkeit der Vorkommnisse gewichtet ist sodass man sie als repräsentativ werten kann? Oder hast du Statistiken?

    Das Christentum allgemein und die katholische Kirche speziell hat ein sehr angespanntes und negatives Verhältnis zur Sexualität. Ich würde dazu nicht unbedingt "Perversion" sagen, aber normal würde ich es ganz sicher auch nicht nennen.

    Das sagst du aus heutiger Sicht, der Zeit der 'sexuellen Revolution', wenn du so willst. Wie neutral ist dieser Standpunkt? Mit der sexuellen Freiheit hat man es mehr als genug Jahrhunderte auch anders gesehen, und das gibt der kirchlichen Sicht die Rechtfertigung. Was du kritisieren kannst, ist höchstens, dass die Kirche diese Sicht weiter vertritt, aber sie tut das weil sie im Wesen eine konservative Kraft ist. Von daher nicht überraschend, dass die Kirche Ansichten vergangener Generationen oder gar Zeiten vertritt, oder?

    Ich hab btw mit einem Pfarrer geredet und der hat die, auch bekannte, Ansicht vertreten, es fällt so sehr auf, weil es sich eben um die Kirche handelt, nicht, weil die Häufigkeit wirklich größer wäre.



  • randa schrieb:

    Was macht dich glauben, dass (Medien)Berichterstattung nach der Tatsächlichen Häufigkeit der Vorkommnisse gewichtet ist sodass man sie als repräsentativ werten kann? Oder hast du Statistiken?

    Nein, ich beziehe mich da wirklich auf Medienberichte. Dass ein (evtl. katholischer) Pfarrer beim Thema Kindesmissbrauch durch katholische Pfarrer voreingenommen ist, erscheint mir nebenbei weit plausibler, als dass sich weltumspannend alle Medien gegen die katholische Kirche verschworen hätten. Schließlich reden wir hier nicht von einem rein deutschen Phänomen.

    Ich sagte nebenbei nicht, dass das Zölibat dubios sei, weil die Medien über katholische Geistliche berichten würden. Ich habe eine Studie zitiert und den regressiven Tätertypus angeführt. Nur so als Anmerkung, weil du dich so auf die Medienberichte stürzt.

    Mit der sexuellen Freiheit hat man es mehr als genug Jahrhunderte auch anders gesehen, und das gibt der kirchlichen Sicht die Rechtfertigung.

    Wenn man etwas über dein Argument nachdenkt, sollte klar sein, dass es ziemlich zirkulär ist und letztlich auf "die kirchliche Sicht ist in Ordnung, weil die kirchliche Sicht in Ordnung ist" hinausläuft. Wer hat denn in den vergangenen Jahrhunderten die Sicht und sexuelle Freiheiten bestimmt? Und war die sexuelle Revolution wirklich ein neuer Sonderfall, wie du es darstellst, oder war es viel mehr nur wegen der Prägung durch die "kirchliche Sicht" notwendig? Dabei hilft es vielleicht, wenn man mal den Blick auf Kulturen richtet, die nicht durch abrahamistische Religionen geprägt sind. Egal ob in der Gegenwart oder Vergangenheit (z.B. Griechen und Römer).
    Und wenn man dann noch einen etwas genaueren Blick auf das Mittelalter wirft, sieht die Sache noch deutlicher aus. Die kirchlichen Ideale wurden zu jeder Zeit gepredigt, aber zu keiner gelebt. Und das durchaus mit Duldung der Kirche. Ihr bleibt auch gar nichts anderes übrig. Wenn man seine Sicht explizit entgegen der menschlichen Natur ausrichtet, dann ist eben auch alles, was man bekommen kann, erstklassige Heuchelei ...



  • minhen schrieb:

    randa schrieb:

    Was macht dich glauben, dass (Medien)Berichterstattung nach der Tatsächlichen Häufigkeit der Vorkommnisse gewichtet ist sodass man sie als repräsentativ werten kann? Oder hast du Statistiken?

    Nein, ich beziehe mich da wirklich auf Medienberichte. Dass ein (evtl. katholischer) Pfarrer beim Thema Kindesmissbrauch durch katholische Pfarrer voreingenommen ist, erscheint mir nebenbei weit plausibler, als dass sich weltumspannend alle Medien gegen die katholische Kirche verschworen hätten. Schließlich reden wir hier nicht von einem rein deutschen Phänomen.

    Nun ja, das läßt aufhorchen. Zunächst sollte man sich fragen, warum in den Medienberichten keine orthodoxen Priester oder jüdische Rabbis auftauchen. Hat vermutlich zwei Gründe: 1) gibt es in Deutschland kaum orthodixe Priester, 2) ist die Öffentlichke Aufmerksamkeit bei diesem Thema auf kath. Priester fixiert, weil die Kirche ja einen moralischen Anspruch hat. Die Medien bedienen nur diese Haltung, nicht aufgrund einer Verschwörung, sondern aufgrund von Sensationslust.
    Ich halte es durchaus für möglich, daß manche pädophile Priester aus einem inneren Triebstau heraus handeln, weil sie aufgrund des Zölibats ihre Sexualität nicht ausleben können. Ich glaube aber kaum, daß diese Zahl so signifikant hoch ist, daß dadurch eine auffällige Häufung pädophiler Gewalt bei kath. Priestern gegenüber nicht-Priestern zustande kommt. Immerhin kennt "Mann" ja auch andere, weniger drastische Möglichkeiten, Stichwort Do it yourselve. 😉

    Es ist vor allem bei älteren Menschen (zumindest habe ich es nur von solchen gehört) ein weit verbreitetes Vorurteil, Männer könnten ihren Triebkonflikt nur mit Hilfe von Vergewaltigungen o. ä. lösen.

    Das Christentum allgemein und die katholische Kirche speziell hat ein sehr angespanntes und negatives Verhältnis zur Sexualität. Ich würde dazu nicht unbedingt "Perversion" sagen, aber normal würde ich es ganz sicher auch nicht nennen.

    Da ist was dran. Man sollte aber klar stellen, daß dies nicht in der biblischen Lehre begründbar ist, sondern eine nachträgliche Entwicklung (wie auch der Zölibat). Zum einen besteht dieses Problem bzw. bei den Lutheranern viel weniger bzw. deren Sexualmoral ist viel weniger streng, zum anderen war diese Entwicklung auch nicht immer konstant, es gab Zeiten (im Mittelalter), wo sowohl die Kirche alsauch die Öffentlichkeit mit Sexualität viel freier umging, als dies sogar heute der Fall ist.



  • minhen schrieb:

    als dass sich weltumspannend alle Medien gegen die katholische Kirche verschworen hätten. Schließlich reden wir hier nicht von einem rein deutschen Phänomen.

    Ich meinte eher die Tatsache, dass Medienberichterstattung eher nie Häufigkeit eines tragischen Falls, sondern Tragik oder Ironie reflektiert, d.h. von Einzelfällen, die besonders dramatisch sind, wirst du häufiger hören als von Autounfällen. Eigentlich eine Offensichtlichkeit, dass ein Fall von Kindesmissbrauch in der Kirche Lawinen auslöst während Kindesmissbrauch von einem x beliebigen eigentlich überhaupt keine Erwähnung findet.

    Wenn man etwas über dein Argument nachdenkt, sollte klar sein, dass es ziemlich zirkulär ist und letztlich auf "die kirchliche Sicht ist in Ordnung, weil die kirchliche Sicht in Ordnung ist" hinausläuft. Wer hat denn in den vergangenen Jahrhunderten die Sicht und sexuelle Freiheiten bestimmt?

    Wirklich nur die Kirche? Überdenke das nochmal. Ich würde nicht sagen, dass die Kirche der Moloch war, der der Welt seine Dominanz aufgedrückt hat, sondern eigentlich im Einklang mit der geistigen und kulturellen Strömung der Zeit gelehrt hat, sie war nicht nur Ursache, sondern vorwiegend auch Symtpom.
    Essentiell ist: Die Sicht war anerkannt, und hat dadurch ihr Recht. Zwischen anerkennen und tatsächlich praktizieren ist, wie du richtig sagst natürlich ein Unterschied, ebenso wie heute sie sexuelle Befreiung übrigens auch nicht bis zum Anschlag gelebt wird, recht wenig sogar. Es geht mir nur um die offizielle Anerkennung, die bereits etwas wert ist. Das betrifft übrigens alle kirchlichen Ansichten, über die heute so herablassend gelästert wird.

    Und war die sexuelle Revolution wirklich ein neuer Sonderfall, wie du es darstellst, oder war es viel mehr nur wegen der Prägung durch die "kirchliche Sicht" notwendig?

    Wohl recht sicher notwendig. Im Höhepunkt einer Strömung steckt oft der Impuls zur Gegenbewegung.

    Um den Bogen zum Ursprung zu machen: Unnormal ist die kirchliche Sicht nicht, sie ist halt alt, weil die Kirche im Wesen konservativ ist, und das ist recht wenig überraschend. Übrigens finde ich diesen gegenpol nicht direkt unangenehm, auch wenn ich die Sicht nicht teile. Man kann ja gern kritisieren, aber manche übertreiben...



  • Elektronix schrieb:

    Zunächst sollte man sich fragen, warum in den Medienberichten keine orthodoxen Priester oder jüdische Rabbis auftauchen. Hat vermutlich zwei Gründe: 1) gibt es in Deutschland kaum orthodixe Priester, 2) ist die Öffentlichke Aufmerksamkeit bei diesem Thema auf kath. Priester fixiert, weil die Kirche ja einen moralischen Anspruch hat.

    Die evangelische Kirche Deutschland ist der angemessene Vergleich für die Römisch-katholische Kirche in Deutschland, was Verbreitung, Zahl der Pfarrer und Moralanspruch angeht. Zunächst sollte man sich also fragen, warum Geistliche der evangelischen Kirche nicht entsprechend auftauchen.

    randa schrieb:

    Wirklich nur die Kirche?

    Na da bin ich mal gespannt, wer die mittelalterliche Gesellschaft maßgeblich geistlich und kulturell geprägt hat - und das unabhängig von Kirche und Christentum.



  • randa schrieb:

    Um den Bogen zum Ursprung zu machen: Unnormal ist die kirchliche Sicht nicht, sie ist halt alt, weil die Kirche im Wesen konservativ ist, und das ist recht wenig überraschend. Übrigens finde ich diesen gegenpol nicht direkt unangenehm, auch wenn ich die Sicht nicht teile. Man kann ja gern kritisieren, aber manche übertreiben...

    Was ist "normal"? Und warum ist die Einstellung zur Sexualität "normal"? Glaubst du wirklich, dass die Einstellung früher "normal" war und wir heute nur "unnormal" (oder anders) geworden sind?



  • minhen schrieb:

    Die evangelische Kirche Deutschland ist der angemessene Vergleich für die Römisch-katholische Kirche in Deutschland, was Verbreitung, Zahl der Pfarrer und Moralanspruch angeht. Zunächst sollte man sich also fragen, warum Geistliche der evangelischen Kirche nicht entsprechend auftauchen.

    Nun, vielleicht aus dem selben Grund, warum "normalbürgerliche" Pädophile nicht so stark beachtet werden: Weil sie sich an ihren eigenen Kindern vergreifen, die sie dann aber auch besser manipulieren können, um die Sache zu vertuschen. Hab ich oben schon mal angeführt.

    minhen schrieb:

    randa schrieb:

    Wirklich nur die Kirche?

    Na da bin ich mal gespannt, wer die mittelalterliche Gesellschaft maßgeblich geistlich und kulturell geprägt hat - und das unabhängig von Kirche und Christentum.

    Die Prägewirkung der Kirche auf die Gesellschaft wird u. U. auch überschätzt. Das zeigt nicht zuletzt die Macht der Reformation. Gegen die konnte die Kirche gar nichts wirklich ausrichten, obwohl es häufig massive und Gewalttätige Maßnahmen (Inquisition, Gegenreformation u. ä.) gegeben hat. Und wie schon gesagt, hat die ev. luth. Kirche deutlich offenere Moralregeln als die katholische, und zwar von Anfang an.
    Prägend auf die Gesellschaft waren vor allem die unheiligen Verknüpfungen von Naturkatastrophen, z. B. Seuchen (in diesem Fall die Syphillis), mit Kirchlichen Erklärungen (als Strafe Gottes) dafür.



  • Elektronix schrieb:

    Nun, vielleicht aus dem selben Grund, warum "normalbürgerliche" Pädophile nicht so stark beachtet werden: Weil sie sich an ihren eigenen Kindern vergreifen, die sie dann aber auch besser manipulieren können, um die Sache zu vertuschen. Hab ich oben schon mal angeführt.

    Damit könntest du erklären, dass zahlenmäßig weniger evangelische Pfarrer bekannt sind. Nicht aber, dass derartige Fälle nicht beachtet würden. "Jetzt auch evangelischer Kinderschänder-Pfarrer! Evangelischer Pfarrer missbraucht eigene Tocher. Gemeinde in Angst: Hat er auch unsere Kinder missbraucht?" Erzähl mir nicht, dass die Bild damit keine Zeitungen verkaufen könnte und würde.

    Die Prägewirkung der Kirche auf die Gesellschaft wird u. U. auch überschätzt. Das zeigt nicht zuletzt die Macht der Reformation. Gegen die konnte die Kirche gar nichts wirklich ausrichten, obwohl es häufig massive und Gewalttätige Maßnahmen (Inquisition, Gegenreformation u. ä.) gegeben hat.

    Die Reformation fällt mitten in die Zeit der Renaissance und des Humanismus, als die nicht-christliche, antike Kultur "wiedergeboren" wurde und die Neuzeit anfängt. Das Mittelalter dagegen ist die Zeit zwischen Antike und eben jener Neuzeit. Es ist eine kulturell etwas langweilige Zeit, weswegen es einfach auch nur die Zeit dazwischen ist. Eben das Mittelalter. Und gerade weil das Mittelalter im Grunde über die Dominanz der katholischen Kirche in Kultur, Kunst, Literatur und Wissenschaft definiert ist, bin ich ja so gespannt, was randa da für nicht-kirchliche, nicht-christliche prägende Strömungen kennt 🙂



  • minhen schrieb:

    Na da bin ich mal gespannt, wer die mittelalterliche Gesellschaft maßgeblich geistlich und kulturell geprägt hat - und das unabhängig von Kirche und Christentum.

    Bleibt noch die Gesellschaft, von der ich alles ausgehen sehe. Wenn die gesellschaft spirituell ausgerichtet ist, so wird sie auch eine entsprechende Autorität wie die Kirche haben. Sozusagen: Die Gesellschaft regiert immer, und wenn sie entscheidet die Kirche abzusetzen (wie heute) dann tut sie es, wenn nicht, nicht. Religion war der Zeitgeist und das Banner, unter dass man sich offiziell Stellen musste, ungeachtet dessen was man wirklich tat. Und das ist der Unterschied zu heute.

    Was ist "normal"? Und warum ist die Einstellung zur Sexualität "normal"? Glaubst du wirklich, dass die Einstellung früher "normal" war und wir heute nur "unnormal" (oder anders) geworden sind?

    Kommt drauf an wen du fragst, aber generell, ja.

    Und gerade weil das Mittelalter im Grunde über die Dominanz der katholischen Kirche in Kultur, Kunst, Literatur und Wissenschaft definiert ist, bin ich ja so gespannt, was randa da für nicht-kirchliche, nicht-christliche prägende Strömungen kennt

    Da muss ich dich wohl enttäuschen, ich habe nur umdefiniert, was du als strikte Trennung Kirche => Gesellschaft interpretierst, auf Gesellschaft=Kirche und Gesellschaft ==> Kirche. Ebenso wie natürlich Gesellschaft ==> Kaiser, bzw weltliche Macht. Etwas gewagt, aber ich denke mir, der Zeitgeist des ausgehenden Mittelalters war das ambivalente Zwischenstadium zwischen der spirituellen Antike und der materiellen Neuzeit.



  • Eine strikte Trennung von Kirche und Gesellschaft hast du dir hineingelesen. Was ich sagte war, dass die Kirche die Sicht der Menschen auf die Welt, sowie die sexuellen Freiheiten vorgab und bestimmte. Das hast du in Frage gestellt. Die Gesellschaft nimmt Trends und Einflüsse auf und gibt sie weiter. Aber als diffuse Entität erfindet sie nicht einfach irgendwelche Details ohne Fremdeinfluss. Dass die Autorität der Kirche durch die Gesellschaft anerkannt werde musste, ist zwar richtig, beantwortet aber nicht die Frage, wer die konkrete Sicht denn vorgab.



  • minhen schrieb:

    Elektronix schrieb:

    Nun, vielleicht aus dem selben Grund, warum "normalbürgerliche" Pädophile nicht so stark beachtet werden: Weil sie sich an ihren eigenen Kindern vergreifen, die sie dann aber auch besser manipulieren können, um die Sache zu vertuschen. Hab ich oben schon mal angeführt.

    Damit könntest du erklären, dass zahlenmäßig weniger evangelische Pfarrer bekannt sind. Nicht aber, dass derartige Fälle nicht beachtet würden. "Jetzt auch evangelischer Kinderschänder-Pfarrer! Evangelischer Pfarrer missbraucht eigene Tocher. Gemeinde in Angst: Hat er auch unsere Kinder missbraucht?" Erzähl mir nicht, dass die Bild damit keine Zeitungen verkaufen könnte und würde.

    Naja, es ist ja nicht so, daß gar keine Evangelen auffällig geworden seien. Ich hab eben gegugelt und http://www.kirchenopfer.de/dieopfer/kindsmissbrauch/index.php gefunden. Ehrlich gesagt kann ich mich an nichts davon aktiv erinnern (und die sind anscheinend ziemlich bemüht, alles zu sammeln; es steht ja auch drin, wenn ein Mann seine Frau betrügt), so daß ich es für nicht mal so unwahrscheinlich halte, daß einem nur die "großen" Fälle zB wenn wenigstens ein Bischof dabei ist im Kopf bleiben, der Rest landet schon in der Lokalzeitung nicht ganz vorne, geschweige denn in anderen, da landet es irgendwo hinten zwischen den Autoannoncen.



  • minhen schrieb:

    Eine strikte Trennung von Kirche und Gesellschaft hast du dir hineingelesen.

    Der folgende Absatz bestätigt dass doch gerade:

    Was ich sagte war, dass die Kirche die Sicht der Menschen auf die Welt, sowie die sexuellen Freiheiten vorgab und bestimmte. Das hast du in Frage gestellt. Die Gesellschaft nimmt Trends und Einflüsse auf und gibt sie weiter. Aber als diffuse Entität erfindet sie nicht einfach irgendwelche Details ohne Fremdeinfluss. Dass die Autorität der Kirche durch die Gesellschaft anerkannt werde musste, ist zwar richtig, beantwortet aber nicht die Frage, wer die konkrete Sicht denn vorgab.

    Die Gesellschaft gibt sich ihre eigenen Autoritäten, Ideologien und Einflüsse, wer tut es denn sonst?
    Genau das habe ich gemeint, als ich sagte, die Kirche ist nicht der Fremdunterdrücker, der die Menschen an der Nase herumgeführt hat, sondern ist eine Institution, die aus der Gesellschaft kommt, ihre Anhänger dort hat, und für die Gesellschaft eine Rolle übernimmt, die von der Gesellschaft gegeben ist. Nichts geschieht ohne ihr Einverständnis. Daraus eben schöpft die Kirche ihre Daseinsberechtigung trotz Kritik aus heutiger Sicht.



  • randa schrieb:

    Die Gesellschaft gibt sich ihre eigenen Autoritäten, Ideologien und Einflüsse, wer tut es denn sonst?

    Technische Entwicklungen, Kontakt mit anderen Kulturen, es gibt viele Einflüsse auf Gesellschaften. Heute relativ vergessen, aber früher dafür um so wichtiger und "beliebter" sind auch Religionskriege und Staatsreligionen. Letzteres ist vor allem für die Verbreitung des Christentums sehr wichtig gewesen. Neben subtilen Einflüssen ist die Beantwortung deiner Frage eigentlich nicht schwer: oft der, der entsprechende Macht hat. Deine Sicht ist schlicht zu stark vereinfacht und wird den historischen Gegebenheiten nicht gerecht. Dass sich Bevölkerungen freiwillig und selbstbestimmt einem Glauben zugewandt haben, spielt doch gerade in der Geschichte des Christentums kaum eine Rolle. Und noch weniger im Mittelalter. Was du sagst ist nicht grundlegend falsch, es ist nur so stark vereinfacht und abstrahiert, dass es schon verfälscht.



  • Neben subtilen Einflüssen ist die Beantwortung deiner Frage eigentlich nicht schwer: oft der, der entsprechende Macht hat. Deine Sicht ist schlicht zu stark vereinfacht und wird den historischen Gegebenheiten nicht gerecht. Dass sich Bevölkerungen freiwillig und selbstbestimmt einem Glauben zugewandt haben, spielt doch gerade in der Geschichte des Christentums kaum eine Rolle. Und noch weniger im Mittelalter. Was du sagst ist nicht grundlegend falsch, es ist nur so stark vereinfacht und abstrahiert, dass es schon verfälscht.

    Du setzt immer wieder irgendwo in der Mitte an, anstatt der Kreis zu schließen. Wenn einer Macht hat, frag dich warum, und wie es kommt das er Gefolge hat und eine Masse die sich unterordnet. Ich rede nicht von der Art von Einwilligung, die du offiziell und wörtlich gibst, sondern der impliziten einwilligung, die Kirche zu dieser Zeit als autorität zu akzeptieren. Wäre dieses Einverständnis nicht gegeben, hätten die Menschen diese Ideologie nicht akzeptiert.

    Die Ursprüngliche Frage war ja eigentlich nur ein Detail:

    Wirklich nur die Kirche? Überdenke das nochmal. Ich würde nicht sagen, dass die Kirche der Moloch war, der der Welt seine Dominanz aufgedrückt hat, sondern eigentlich im Einklang mit der geistigen und kulturellen Strömung der Zeit gelehrt hat, sie war nicht nur Ursache, sondern vorwiegend auch Symtpom.
    --->
    Na da bin ich mal gespannt, wer die mittelalterliche Gesellschaft maßgeblich geistlich und kulturell geprägt hat - und das unabhängig von Kirche und Christentum.

    Eigentlich sind wir nur am korinthenkacken. Lass es mich meinen Standpunkt nochmal formulieren: Natürlich die Kirche. Ich möchte das aber nur nicht so verstanden wissen, dass sie, unabhängig ihrer Zeit und der Menschen - sozusagen von außen - allen ihren Stempel aufgedrückt hat, und der Rest nur Opfer einer Unterdrückerideologie ist. Sondern dass das, was sich in Kirche und Theologie geäußert hat, auch seine Entsprechung in der Gesellschaft hatte. Das ist mein Punkt.



  • randa schrieb:

    Du setzt immer wieder irgendwo in der Mitte an, anstatt der Kreis zu schließen. Wenn einer Macht hat, frag dich warum, und wie es kommt das er Gefolge hat und eine Masse die sich unterordnet. Ich rede nicht von der Art von Einwilligung, die du offiziell und wörtlich gibst, sondern der impliziten einwilligung, die Kirche zu dieser Zeit als autorität zu akzeptieren. Wäre dieses Einverständnis nicht gegeben, hätten die Menschen diese Ideologie nicht akzeptiert.

    Im Gegenteil. Ich bin in dem Punkt argumentativ am geschichtlichen Anfang, der dir aber egal ist. Du setzt mitten im Mittelalter ein und sagst, die Gesellschaft akzeptiert die Kirche, also kommt die Kirche aus der Gesellschaft. Das ist, wie gesagt, in dem Punkt nicht falsch, verfälscht aber dennoch die Geschichte. Zum Beispiel bei Staatsreligionen, die durch die Gewalt das Staates durchgesetzt werden, von impliziter Einwilligung zu sprechen, ist nicht grundlegend falsch, aber eben doch ziemlich verfälschend.
    Die katholische Kirche wurde oft mit Gewalt in eine Machtposition gesetzt, die es ihr erlaubte, selbige auch mit Gewalt zu verteidigen. Wenn wir vom Mittelalter sprechen, wie auch von der Christianisierung Europas, dann ist das Christentum immer auch ein Machtmittel gewesen. Der einzelne Untertan hat keine freie Wahl, geglaubt wird, was der mächtigste Mensch im Lande glaubt. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Mensch aus den eigenen Reihen stammt, oder ein fremder Eroberer ist. Ein schönes Beispiel liefern Gesetze, die Karl der Große, nach der Unterwerfung der heidnischen Sachsen im 8. Jahrhundert, dort erlies:

    • Sterben soll, wer die vierzigtägigen Fasten vor Ostern in Verachtung des christlichen Glaubens bricht und Fleisch ißt.
    • Todesstrafe erleidet der, der nach heidnischem Brauch Leichen bestattet, indem er den Körper den Flammen preisgibt.
    • Sterben soll, wer Heide bleiben will und unter den Sachsen sich verbirgt, um nicht getauft zu werden oder es verschmäht, zur Taufe zu gehen.

    Das ist, wovon der wir hier reden ... und was du in diesem Fall als implizite Einwilligung der Sachsen, die katholische Kirche zu umarmen, bezeichnest.



  • Wovon ich eigentlich geredet habe, war nicht das achte Jahrhundert, sondern später, als die europäischen Gesellschaften bereits christlich sowie die Ordnung bereits fest stand und akzeptiert wurde.

    Dass diese Richtung in den Anfängen kaum bereitwillig entgegengenommen wurde, sondern manchen auferlegt wurde von einer Oligarchie, ist richtig und habe ich nicht bestritten. Auf der anderen Seite beklagst du, dass der kleine Mann an solchen Dingen nicht mitbestimmt, und ich frage mich wann es je so war.
    Ich versuche den Bogen zu schlagen und zu klären, warum überhaupt eine herrschende Klasse an die Macht gekommen ist, die gerade solcherart Ideologien unters Volk bringt, und führe das auf die Gesellschaft jener Zeit zurück. Ein bisschen schwingt auch Siegerrecht mit - wie konnte es soweit kommen, dass die Christianisierung voran und voran schreite, wenn sie nicht auch den Nerv jener Zeit getroffen hat?



  • Man sollte das Mittelalter schon etwas differenzierter betrachten, als Du es hier tust. Das Mittelalter war nicht nur „eine Zeit dazwischen“, sondern eine eigene Kulturepoche mit eigenen Gesetzen. Nur mal ein paar Beispiele:
    Die Renaissance begann in Italien um Mitte 1300, in Deutschland aber erst um 1500. Interessant ist aber, daß der Beginn der Renaissance gekennzeichnet war von einem Aufstieg bürgerlicher Mächte (Medici, Sforza, Fugger), die den Einfluß des Adels und der Kirche zurückdrängten. Auf diesem Boden entstand auch der Humansimus, der vorläufig noch von der Kirche mit getragen wurde.

    1. Als Ende des Mittelalters gilt gemeinhin die Erfindung des Buchdruckes sowie die Reformation. Die Reformation lag also nicht in der Renaissance, sondern stand an ihrem Anfang (schau Dir die Bilder von Luthers Freund Lukas Kranach an, die mit dem Malstil der Renaissance noch sehr wenig zu tun haben).

    2. Die Reformation war eine Gesellschaftliche Strömung, der sich letztendlich der Kaiser und auch die Kirche fügen mußte. Die Kirche hatte versucht, auf den Kaiser Einfluß zu nehmen und Luther verbrennen zu lassen, jedoch erfolglos- dieses Urteil konnte nur der Kaiser fällen, nicht die Kirche! Der Kaiser war aber auf die Unterstützung der Kurfürsten angewiesen und hatte denen- speziell kurfürst Friedrich der Weise- sein Wort gegeben, Luther zu schützen. Angesichts der Kraft der Reformationsbewegung mußte der Kaiser auch verhindern, daß das Reich in einem religiösen Bürgerkrieg zerbrach. Der eigentliche Machtausübende war also hierbei weder der Kaiser, noch die Kirche, sondern das Volk. Randa stellt das sehr richtig dar.

    3. Die Gesellschaft im Mittelalter war zu mindest in Deutschland (bzw. im hl. röm. Reich deutscher Nation) deutlich demokratischer strukturiert als z. B. im Barock: Kaiser oder König „von Gottes Gnaden“ nannten sich die absolutistischen Herrscher wie Friedrich der Große, Ludwig IV, Franz Joseph von Habsburg, u. a., ihnen kam der Thron durch Geburt und Erbe zu. Allesamt lebten aber nach dem Mittelalter!
      Kaiserdynastien wie die Habsburger gab es im Mittelalter nicht. Die Kaiser wurden von den Kurfürsten gekürt- gewählt (die konnten ihn auch absetzen!)(küren heißt wählen) und von der Kirche nur gekrönt. Ebenso wurden die Stadträte und Bürgermeister der freien Reichsstädte gewählt und unterstanden keinem Adel. Folglich mußten sich die mittelalterlichen Herrscher viel intensiver um ihr Volk kümmern- ein Grund, warum im Mittelalter Hauptstädte viel weniger Bedeutung hatten. Dafür gab es Kaiserpfalzen, die im ganzen Reich verstreut lagen, und die der Kaiser regelmäßig aufsuchte. Diese relative Ordnung ging erst im dreißigjährigen Krieg unter, der vollständig in der Neuzeit liegt.

    4. Natürlich gab es einige Machtkämpfe zwischen Kirche und weltlichem Hochadel. Der Berühmteste endete mit dem „Gang nach Canossa“, war aber durchaus nicht der Einzige.

    5. Verirrungen wie die Inquisition waren nicht zuletzt auch Abwehrmaßnahmen der Kirche gegen drohenden Machtverlußt- letztendlich erfolglos.

    Die Wechselwirkungen zwischen Kirche und Gesellschaft sind also weitaus komplexer, als Du es hier darstellen willst, und gingen nicht allein von der Kirche aus.



  • Elektronix schrieb:

    Man sollte das Mittelalter schon etwas differenzierter betrachten, als Du es hier tust. Das Mittelalter war nicht nur „eine Zeit dazwischen“, sondern eine eigene Kulturepoche mit eigenen Gesetzen.

    Wie schließt das eine das andere aus? 😉
    Ich dachte bei diesem wort eher an den Kontrast der (früh)antike und dem heute.

    Die Wechselwirkungen zwischen Kirche und Gesellschaft sind also weitaus komplexer, als Du es hier darstellen willst, und gingen nicht allein von der Kirche aus.

    Ich dachte das hatte ich schon so überdeutlich strapaziert, dass ich minhen wieder entgegenkommen musste...



  • Hallo

    Elektronix schrieb:

    Kaiserdynastien wie die Habsburger gab es im Mittelalter nicht. Die Kaiser wurden von den Kurfürsten gekürt- gewählt (die konnten ihn auch absetzen!)(küren heißt wählen) und von der Kirche nur gekrönt.

    Du vergißt das 3 der 7 Kurfürsten Erzbischöfe waren, und das die 4 weltlichen Fürsten auch ihre geistlichen Ratgeber hatten. Die Kirche hatte also sehr wohl starken Einfluß auf die Kaiserwahl.

    bis bald
    akari



  • randa schrieb:

    Wovon ich eigentlich geredet habe, war nicht das achte Jahrhundert, sondern später, als die europäischen Gesellschaften bereits christlich sowie die Ordnung bereits fest stand und akzeptiert wurde.

    Ihr seid mir langsam suspekt. Ich schreibe, dass du nicht vom geschichtlichen Anfang redest, sondern in der Mitte des Mittelalters einsetzt. Und daraufhin belehrst du mich dann, dass du nicht vom Anfang des Mittelalters, sondern von mitten im Mittelalter redest. Was soll ich dazu sagen?
    Oder Elektronix, der trotz expliziten Hinweises, dass wir uns auf das Mittelalter beziehen, über die Reformation belehrt und genau weiß, dass randa das schon richtig darstellt. Wir reden zwar noch immer vom Mittelalter und er von der Reformation, aber wen stört das schon. Hauptsache das Mittelalter war demokratisch. Schließlich wurde die Bedeutung von Kurfürstern herausgefunden. Stände, Leibeigenschaft und Feudalismus, egal!

    randa schrieb:

    Ich versuche den Bogen zu schlagen und zu klären, warum überhaupt eine herrschende Klasse an die Macht gekommen ist, die gerade solcherart Ideologien unters Volk bringt, und führe das auf die Gesellschaft jener Zeit zurück.

    Und dabei ignorierst du den geschichtlichen Kontext und die Vorgeschichte?

    randa schrieb:

    Die Wechselwirkungen zwischen Kirche und Gesellschaft sind also weitaus komplexer, als Du es hier darstellen willst, und gingen nicht allein von der Kirche aus.

    Ich dachte das hatte ich schon so überdeutlich strapaziert, dass ich minhen wieder entgegenkommen musste...

    Du hast überhaupt nichts übderdeutlich gesagt, sondern nur nebulös immer und immer wieder "Gesellschaft" gesagt. Dass die Gesellschaft auch auf die Kirche rückwirkt, da waren wir uns von Anfang an einig. Und welche komplexen Einflüsse auf Gesellschaften so existieren, das habe ich hier gesagt. Aber ist klar, ich bin der Depp, der die Komplexität unterschätzt.
    Die Diskussion hier hat ein Blödheitsniveau unter dem Mantel der Ernsthaftigkeit erreicht, dass es nicht mehr feierlich ist. Da kann ich meine Zeit auch sinnvoller verschwenden. Also freut euch, ihr habt gewonnen. Mir wird's zu blöd.


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