Wie steht ihr zu Stuttgart 21?



  • /rant/ schrieb:

    Ich finde das Projekt geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Jedoch habe ich das Gefühl, dass eine solch grosse Investition nicht ohne die Zustimmung der Bürger passieren sollte - und ein allfällige Abstimmung hätte schon vor vielen Jahren stattfinden müssen. Mit einer klaren Mehrheitsentscheidung hätte man die derzeitigen Probleme nicht. Aber leider gibt es sowas in Deutschland gar nie; dafür wird an der Realität vorbei politisiert und die Bevölkerung wird einmal mehr vor vollendete Tatsachen gestellt.

    Langfristig bin ich zwar überzeugt, dass das Projekt Stuttgart 21 nicht nur der Region an sich, sondern auch regionsübergreifend der Entwicklung dienen wird. Aber so wie das Projekt von der Politik angegangen wird, ist es mehr als ungeschickt. Es wird sowohl Angriffsfläche, als auch Potential angeboten...

    Wobei gerade S21 etwas ist, wo ein Volksentscheid (gerade nach der Eskalation) nicht so sinnvoll wäre. Solche Projekte sind ja von globaler Bedeutung. Die meisten Bürger entscheiden aber nicht aus verkehrsstrategischen Gründen, sondern weil sie zB längere Bauarbeiten in ihrer Nähe befürchten. Natürlich wollen die Leute immer alles perfekt haben, wenn sie es selbst nutzen wollen. Die Leute wollen, das die Bahn pünktlich ist und einen zuverlässigen Strom- und Wasseranschluss. Aber die wenigsten sind bereit dafür Opfer in Kauf zu nehmen. Seien es nun große Bahnprojekte oder Oberlandleitungen oder Atommülllager oder Windkraftanlagen oder gar Mobilfunkantennen. Natürlich soll alles funktionieren, aber immer auf Kosten der "anderen".

    S21 ist genau so ein Fall, wofür man nach meiner Meinung Volksvertreter wählt. Hier sollten nämlich globale Faktoren berücksichtigt werden.

    (und man sieht es ja, wenn die Leute sich über das Fällen von 282 Bäumen aufregen, wofür im Ausgleich aber 5.000 neue Bäume gepflanzt werden (und zwar richtig große Bäume und keine Setzlinge) und die Parkanlage um 20 Hektar größer wird)


  • Administrator

    rüdiger schrieb:

    Wobei gerade S21 etwas ist, wo ein Volksentscheid (gerade nach der Eskalation) nicht so sinnvoll wäre.

    Nach der Eskalation definitiv nicht mehr. Aber davor wäre es sinnvoll gewesen. Es waren schliesslich nach damaligen Umfragen ein Grossteil dafür. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet und dies wahrscheinlich aus mehreren Gründen. Wenn aber damals vor x Jahren die Sache vom Volk bestimmt worden wäre, dann wäre die Chance grösser, dass auch heute noch die Mehrzahl dahinter steht. Schau dir zum Beispiel den Bau der Neat an. Ausgehandelt haben es Volksvertreter. Gegen deren Entscheid wurde ein Referendum ergriffen. Das Volk hat die Idee aber gutgeheissen. Die Kosten sind explodiert und die Leute stehen grundsätzlich immer noch mehrheitlich dahinter. Die Neat ist in das Volk integriert. S21 erscheint mehr als Denkmalbau eines Oberbürgermeisters, dass Volk wurde fast schon systematisch vom Entscheid ausgeschlossen.

    Grüssli



  • Marc++us schrieb:

    ... Man kann aus solchen Konflikten aber auch etwas lernen ...

    Das ist auf zynischer Ebene lustig, daß die Staatsorgane in einem demokratisch legitimierten System viel radikaler gegen das Volk vorgehen als in einer Diktatur, das liegt vermutlich daran, daß jede Diktatur insgeheim weiß, sie im Unrecht ist, während die Demokratien das eigene Rechtsgefühl sehr stark für sich in Anspruch nehmen...

    Da sind wir wieder beim Thema! Wer macht wie demokratische Entscheidungen, für wen, mit welchen Interessen und wessen Geld? Stuttgart21 ist nicht die Hafenstrasse in Hamburg! Ich fürchte, Deutschland unterscheidet sich nicht mehr viel von einer Bananenrepublik. :p


  • Mod

    rüdiger schrieb:

    S21 ist genau so ein Fall, wofür man nach meiner Meinung Volksvertreter wählt. Hier sollten nämlich globale Faktoren berücksichtigt werden.

    Absolut.

    Leider gibt's damit jetzt das Problem, daß man in Deutschland keine Volksvertreter mehr wählt. Man wählt Parteilisten, und man wählt über die Liste abgesicherte Direktkandidaten, die danach in der namenlosen parlamentarischen Masse der Partei untergehen. Selbst wenn auf Bundesebene dann mal was beschlossen wird, was einer bestimmten Region schadet, stimmt der von dort stammende Abgeordnete zu - denn seine Zukunft hängt von einer Frau Merkel oder einem Herrn Ulbricht (oder wie heißt der Typ von der SPD?) ab, nicht von den Wählern in seinem Wahlkreis.

    Die Wähler sind ja nicht dumm und merken das. Vor allem kommen immer mehr Entscheidungen in immer kürzerer Folge, die nicht mehr vermittelbar sind. Nur kann man gegen die Bankenrettung oder Griechenlandbürgschaft schwer demonstrieren, sie ist virtuell, schwer greifbar. S21 hat dafür katalytische Wirkung, denn man kann sich physisch an den Baum ketten, der gefällt werden soll. S21 macht es Otto Normalbürger möglich den Unwillen gegen die Loslösung der Abgeordneten von der demokratischen Auswahl und Legitimation in Taten auszudrücken.

    Vor allem treten hier jetzt erstmalig Leute der Fraktion auf, die zur Gruppe "die werfen unser Geld mit beiden Händen zum Fenster raus" gehören - also die Menge, aus der sich die Masse der Lohn- und Einkommensteuereinnahmen zusammensetzt. Und die eben Nettobeitragszahler sind.

    Das wird noch sehr interessant.



  • Parteilose Demokratien sind nicht stabil, Parteien bilden sich fast immer. Wenn ein Direktkandidat in Passau gewählt wird, dann schauen die meisten Leute auch erstmal auf die Partei, außer sie kennen den Kandidaten. Parteien kommunizieren kurz und prägnant (zumindest grob) die Art und Weise, wie diese Person in Zukunft abstimmen wird. Diese Kommunikation zu eliminieren kann nicht sinnvoll sein.

    Natürlich sind auch Parteien nicht stabil, sie können zersplittern und neue Parteien bilden. Und Koalitionen haben auch Nachteile.

    Marc++us schrieb:

    Leider gibt's damit jetzt das Problem, daß man in Deutschland keine Volksvertreter mehr wählt.

    Wann war das denn so?



  • http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-10/stuttgart-21-mappus-gespraeche

    Mappus schlägt beruhigende Töne an und setzt auf offensichtlich auf neue Verhandlungen und Gespräche zu dem Thema. Die massiven Bürger-Proteste verfehlen ihr Ziel somit nicht völlig, das ist beruhigend.


  • Administrator

    In Sicherheitskreisen hieß es, die Polizei sei von der Anwesenheit Hunderter Schüler im Stuttgarter Schlossgarten überrascht worden. Aktivisten hätten die Schüler offensichtlich in den Park gelockt.

    Überrascht? Seltsam, wurde doch alles hochoffiziell angekündigt und genehmigt (wurde in den Kommentaren indirekt verlinkt):
    http://www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/Versammlungsbescheid-30.09.10-anonymisiert-komplett.pdf

    Glaub ich eher dem Spiegel, dass man es schlicht vergessen hat, was aber nicht gerade ideal ist.
    Ich bin ja mal gespannt, wie sich dies weiterentwickelt, vor allem auch mit diesen "Gesprächen". Vielleicht sollte man nochmals die Umfrage durchführen mit dem Anschluss zur Schweiz 🤡

    Grüssli


  • Mod

    Das mit dem fünfteuersten Gebäude der Welt ist übrigens Schwachsinn, da die Liste BEI WEITEM nicht vollständig ist.

    MfG SideWinder



  • Spätestens Spiegel-TV von heute http://www.youtube.com/watch?v=j8Zvc3KgvVc müßte doch mit der braven Ex-CDU-Wählerin aus einer süddeutschen Unternehmerfamilie dafür sorgen, daß sich in Stuttgart, vielleicht sogar in ganz Rheinland-Pfalz kein konservativer Politiker mehr die Finger daran verbrennen will.
    Den geringsten Schaden bringt es jetzt wohl, schnell einzuknicken, einen oder zwei Köpfe rollen zu lassen, und einen aus der zweiten Reihe in der BamS irgendwas vorschlagen zu lassen, worüber man sich gut streiten kann.
    Zumal die Nachrichten die S21-Empörung ja noch nicht zum täglichen Thema machen (warum eigentlich nicht?).



  • Der Protest um S21 hat sich ja vollkommen transformiert:
    Anfangs waren es die Bürger der Stadt Stuttgart, die einfach nicht wollten, dass ihr Bahnhof abgerissen wird und dafür ein unterirdisches Konstrukt errichtet wird.

    Plötzlich war es in den Nachrichten - man sah deutsche Bürger, auf dessen Meinungen kein Anhänger der "Prosit"-Seite einging. Es entwickelte sich die Meinung: "Wir haben doch eigentlich eine Demokratie - wieso haben wir plötzlich nichts mehr zu sagen?". Dann ging es nicht mehr um den Bahnhof selbst, sondern darum, dass die Meinung des Volkes untergraben wurde.
    Als dann noch die Gewalt der Polizisten hinzukam (diesbezüglich möchte ich sehr neutral bleiben, da diese auch durch linksextremistische Provokation verursacht sein konnte), eskalierte die Situation vollkommen.

    Wer muss jetzt welchen Schritt machen, damit die Bürger wieder fein nach Hause gehen und sich das aktuelle Problem auflöst?



  • Ein interessantes Video aus dem Jahr 1997 zum Thema Bürgerbeteiligung bei S21:
    http://www.archive.org/details/Stuttgart_1997&reCache=1



  • satanfreze schrieb:

    Wer muss jetzt welchen Schritt machen, damit die Bürger wieder fein nach Hause gehen und sich das aktuelle Problem auflöst?

    Niemand, das regelt sich von allein! Entweder wird das Projekt durchgezogen oder die Bürger bleiben sauer und äussern ihren Unwillen künftig anders. Mich stören die 125 Euros oder mehr, die mich das kosten soll und wofür ich keinen Nutzen haben werde. :p



  • Hier mal noch ein interessanter Beitrag von Frontal21: Link



  • F98 schrieb:

    Hier mal noch ein interessanter Beitrag von Frontal21: Link

    Man muss dazu sagen, dass das von März ist. Die Probleme des Projekts waren schon sehr lange bekannt, das ist den Gegnern nicht erst 1 Tag vorher eingefallen, dass ihnen das nicht passt.

    Über einen langen Zeitraum wurde die Meinung der Bevölkerung ignoriert.



  • Über einen langen Zeitraum wurde die Meinung der Bevölkerung ignoriert.

    http://www.youtube.com/watch?v=uxPADjEg3G8 "Ich bin eine brave Bürgerin"



  • Erhard Henkes schrieb:

    Über einen langen Zeitraum wurde die Meinung der Bevölkerung ignoriert.

    http://www.youtube.com/watch?v=uxPADjEg3G8 "Ich bin eine brave Bürgerin"

    also den geschmack einer suppe erkenne ich auch erst wenn sie auf dem tisch ist und nicht zum zeitpunkt der zubereitung durch den koch. man sollte uns lieber vorher mal probieren lassen... dann ist auch sichergestellt dass es schmeckt 😋

    @edit: was ich eigentlich sagen wollte, in den planfeststellungsprozess werden wir idr. nicht einbezogen und es gibt auch keine alternativ projekte zur auswahl (man kann ja die bundeszuschüsse nicht einfach verkommen lassen;). es gilt immer friss oder stirb.



  • Change Management und dazu gehörige Kommunikation ist eine schwierige aber sehr wichtige Angelegenheit. Da geht inzwischen alles durcheinander: Auf der einen Seite die Bäume, die Käfer, die Polizisten, die Bürger unverhältnismäßig attackieren und verletzen. Auf der anderen Seite: ein Bahnhofsprojekt, das - soweit ich das sehe - im Wesentlichen von der Wirtschaft, also denen, die davon finanziell profitieren, unterstützt wird. Niemand erklärt, warum Deutschland genau diesen Bahnhof für seine Zukunft benötigt. Hier liegt das Problem.

    Aber man weiß nun: Merkel, also CDU/CSU, dafür; Roth, die Grünen, dagegen.

    Was am allerliebsten ist: Der Bahnchef gestattet nun friedliche Demos 😉

    Grube war am Sonntag scharf kritisiert worden, weil er in einem 'Bild am Sonntag'-Interview erklärt hatte: 'Ein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau gibt es nicht!' Nun nannte er es 'sehr menschlich', dass Veränderungen zu Ängsten oder Ablehnung führten wie derzeit in Stuttgart. 'Wir haben großen Respekt vor allen, die friedlich und mit legalen Mitteln demonstrieren. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht sind zentrale Elemente unserer Demokratie', sagte der Bahnchef.

    http://www.ad-hoc-news.de/grube-bekennt-sich-zum-demonstrationsrecht--/de/News/21641574



  • http://www.welt.de/politik/article10144184/Geissler-rueckt-von-generellem-Baustopp-ab.html

    Es sei mit Geißler lediglich besprochen worden, dass es „als Signal des Entgegenkommens und um Gespräche möglich zu machen“ vorläufig keinen Abriss des Südflügels und keine weitere Rodung des Schlossgartens geben solle, hieß es in der gemeinsamen Erklärung.

    Dies hatte Mappus bereits am Dienstag angekündigt. Es gehe jetzt darum, an einen Verhandlungstisch zu kommen und Ergebnisse zu erzielen, hieß es in der Erklärung von Mappus und Grube weiter. Ein Sprecher der baden-württembergischen Landesregierung betonte, von einem „generellen Baustopp“ sei nie die Rede gewesen.

    Herrlich dieses Chaos. Mappus und Grube - die "Machthaber" in Politik und Wirtschaft - brauchen Geissler, diesen alt gewordenen Querdenker der CDU, um das Gespräch mit den Bürgern zu finden, und die Grünen heizen im Hintergrund kräftig ein (Frau Roth kommt aus Ulm!).

    Hier übrigens Kommentare von Leuten, die sich in der Demo-Szene offenbar etwas auskennen: http://deutschlandecho.wordpress.com/2010/10/07/augengeschadigtes-stuttgart-21-opfer-war-auch-nur-linker-strasenterrorist/ (bewusst Link aus rechter Szene, weil ich wissen wollte, wieviele "linke" Dauer-Demonstranten dabei waren)

    Das ist der härteste Kommentar:

    Würden sie statt dem Bahnhof eine Mosche dahinbauen wären diese Protestler alle dafür.



  • Erhard Henkes schrieb:

    Herrlich dieses Chaos.

    Eine neue Ordnung entsteht oft aus Chaos. Hierin liegt auch eine Chance! Das ganze hat jetzt auch eine bundespolitische Dimension angenommen und muss dann wohl so geregelt werden. Kaum jemand will ernsthaft Grossprojekte verhindern, wenn sie sinnvoll sind. Ein grosser Teil der demokratischen Basis der Bürger bezweifelt dies für die vorgelegte Lösung, nicht nur in Stuttgart.

    Es ist undenkbar, dass es keine besseren Varianten gegeben hätte, die dann eine breitere Zustimmung gefunden hätten! Nur darin wurden die Bürger zu wenig oder gar nichtg eingebunden.



  • Ich war vorgestern dort und neben S21 demonstrieren sie jetzt gegen Atomkraft. Offenbar sind die Stuttgarter auf den Geschmack gekommen 😉 .


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