Wie fastet ihr?
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Stell Dir vor, Du bist Grundschüler und Du hast Deine Hausaufgaben nicht gemacht, weil Du echt große Unlust dazu verspürt hattest.
Die Lehrerin erwischt Dich und fragt, warum Du die Hausaufgaben gemacht hast.
Antwort A: Bedrückt schauend "Die habe ich vergessen".
Antwort B: Offen erklären "Dazu hatte ich einfach keine Lust".Bei B würde eine gewaltige Moralpredigt auf dich niederpreschen voller rhetorischer Fragen und anderer Sprachmittel, denen Du keineswegs gewachsen bist, zusammen mit allen erlaubten und manchen unerlaubten Formen der Erniedrigung, dem Bloßstellen und Lächerlichmachen vor der Klasse.
Nun ist es aber so, daß die Lehrerin aus Antwort A auch genau herausliest, daß Du zu faul warst. Sie glaubt keineswegs, daß Du sie vergessen hättest. Trotzdem wirst Du zur Antwort A gezwungen. Jede andere Antwort wird schwer bestraft.
Formal ist das Lügen hier eine Sünde. Für sdf müßte es auch eine sein. Ich wäre mal interessiert, was der Pfarrer dazu sagt, wenn man wöchentlich beichtet und lauter Lügen dieser Art auftischt.
Montag: Lehrerin "Warum hast Du keine Hausaufgaben?" - Ich "Vergessen."
Montag: In Mathe gesagt, 25 durch 3 ginge nicht, weil der Lehrer das so verlangt. Darauf verzichtet, ihm Kommazahlen zu erklären.
Montag: Behauptet, alle Säugetiere hätten sieben Halswirbel, als gäbe es kein Dreifingerfaultier.
Zusatzfrage: Was ist, wenn man wie der Lehrer vom Dreifingerfaultier nichts weiß, also lügt, ohne zu wissen, daß man lügt. Natürlich ist das auch eine Sünde, aber die kann man nicht beichten. Kommt der Lehrer jetzt zwangsläufig in die Hölle, wenn ihn keiner darüber aufklärt?)Montag: Bin dem Busfahrer aus Versehen auf den Fuß getreten und sagte "Tut mir Leid". Das war nur eine Floskel mit der Bedeutung "Tschuldigung", aber mir tat es gar nicht leid.
Montag: Mutti auf ihre Bitte hin am Telefon verleugnet. Ich konnte ihr schlecht erklären, daß ich das nicht mache, um nicht zu sündigen. Sie hätte mich verspottet, fürchte ich, und lange Vorhaltungen darüber gehalten, was sie alles für mich tut.
Montag: Tante Erna "Hat's geschmecht?" - Ich "Ja.". Sie kann halt nicht gescheit kochen, ich kann es ihr nicht beibringen, will ich auch gar nicht. Aber würde ich hier ehrlich sein, zöge das endlose Diskussionen nach sich, die doch nur zu einer beleidigten Tante führen würden, ohne daß sich das Essen bessert.
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Klar, man kann auch wie ein Politiker sein und immer sagen, was die direkt persönlich am passendsten Folgen hat.
Richtig finde ich das daher trotzdem nicht. Streng genommen sind die Lügen schlecht.
Endlose Diskussionen usw. sind dann halt Pech. Im Zweifelsfall kann man sagen: "Du hast gefragt, ich habe ehrlich geantwortet." Dagegen kann man nichts sagen. Wenn der andere dann diskutiert ohne Ende, hat er eben Pech gehabt. Klar ist Dir das nicht so besonders recht und es nervt, aber Du hast einfach korrekt gehandelt.
So in der Grauzone finde ich das "Drumherumreden". Man antwortet einfach nicht, sondern redet um den heißen Brei. Damit hat man nicht gelogen und ordentlich beschönigt, aber es ist eben keine Lüge. Ich finde, das ist in Ordnung. Dabei habe ich auch kein schlechtes Gewissen, wenn ich die Unwahrheit sage hingegen schon.
Das ist übrigens so ein Punkt, wo ich wirklich recht ehrlich bin. Wenn jemand fragt und ich etwas so meine, dann sage ich das auch so. Wenn der danach heult, ausrastet oder mich hasst, ist das sein Problem, dann hätte er eben nicht fragen sollen, ich habe ja Gründe für meine Antwort.
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Und wenn du jemandem mit der Wahrheit Schaden zufügst? Gelten solche absoluten Maßstäbe dann auch noch?
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Da wird es dann interessant und diskutabel. Hast Du ein Beispiel?
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Das klassische Beispiel. "Verstecken Sie hier Juden?"
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Jo, keine Ahnung, da würde ich jetzt erstmal nein antworten. Nach Kant müsste man aber ja antworten.
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Eisflamme schrieb:
Nach Kant müsste man aber ja antworten.
Nein. Kant würde sich im Grabe umdrehen, wenn er dich hören würde.
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Bashar schrieb:
Das klassische Beispiel. "Verstecken Sie hier Juden?"
Und es gibt keinen offiziellen Freifahrtschein in der Bibel, daß man in solchen Härtefällen doch lügen darf und soll?
Das wäre ja schlimm, dann mußte ich die Bibel wegwerfen.
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Also so weit ich das noch im Kopf habe, definiert sich bei Kant die Ethik auch daraus, wie die Art einer Sache an sich ist und die Lüge ist dabei negativ und damit unmoralisch. Zumindest weiß ich noch ziemlich genau von einem ähnlichen Beispiel, wo die Antwort klar "ja" war.
Auf der anderen Seite gibt es auch den "guten Willen", nach dem eine Lüge ja ok sein könnte, wenn das mit einem guten Willen in Verbindung gebracht würde, wobei der andere hier ja gezielt belogen werden würde, was wieder kein guter Wille wär.
Kannst Du das mit Begrifflichkeiten Mal genauer erklären, wieso das ein nein sein soll?
Laut wiki ist die Lüge generell auch verboten:
Daraus folgt aber, dass es in keinem denkbaren Anwendungsfall eine Ausnahme geben kann: Wenn es ein das Lügenverbot gibt, gilt es in jedem Fall. Al
Selbst eine Lüge, die keinem Betroffenen unmittelbar schadet oder in der konkreten Situation einen Vorteil verschafft, ist also verboten, da sie immer die Menschheit im Allgemeinen schädigt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Lüge#Kant
Quelle 2:
Lüge. Die Lüge ist unbedingt verwerflich, auch die "Notlüge".
http://www.textlog.de/32495.html
Quelle 3:
Nachfolgend lehnt er jedoch wieder Lügen grundsätzlich ab, auch die "Bagatellüge", also die Lüge mit guten Absichten.
http://www.grin.com/e-book/110729/kant-aus-menschenliebe-luegen (wobei hier auch von leichten Widersprüchlichkeiten die Rede ist, ändert aber alles in allem nichts)
Zweifelhaft, dennoch sagt Kant das so, hier Mal eine noch passendere Quelle 4:
Constant meinte, eine Schwäche gefunden zu haben. Wenn ich einem Unschuldigen auf der Flucht Unterschlupf vor seinen Verfolgern gewähre, diese dann aber an meine Tür klopfen und fragen, ob derjenige bei mir ist, soll ich dann nicht lügen? Denn nach Kant sollte man ja auch nicht unnötig Menschenleben verschwenden, was ja wohl klar der Fall wäre, wenn man den Unschuldigen ans Messer liefert. Kant meinte dazu, dass man nicht lügen sollte. Und fügte hinzu, dass ja eventuell die Chance besteht, dass die bösen Verfolger es einem nicht abnehmen, wenn man sagt, dass der Versteckte bei einem im Keller hockt und so vielleicht weiterziehen. Alles ein wenig schwierig und nicht recht glaubhaft, aber willst du moralisch sein, dann geht das bei Kant eben nur so.
http://differentialdiagnose.gerndesign.de/?p=108
Genau so, wie ich es auch im Kopf habe. SeppJ, basierend auf was hast Du Dein flottes "nein" geschrieben?
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Eisflamme schrieb:
Kannst Du das mit Begrifflichkeiten Mal genauer erklären, wieso das ein nein sein soll?
Kant schrieb:
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
Da steht nirgendwo, dass das allgemeine Gesetz eine einfache, absolute Aussage wie "Du sollst nicht lügen" sein muss. Das wird sogar später noch einmal klargestellt:
Kant schrieb:
Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.
Da man davon ausgehen darf, dass eine ehrliche Antwort auf die Frage, ob man Juden versteckt, der betroffenen Person maximal schadet, so wäre es wohl angebracht zu lügen.
edit: Ok, Kant persönlich hat das anders gesehen und würde dir zustimmen. Damit ist er aber nach seinem eigenem Imperativ meiner Ansicht nach ein zutiefst unmoralischer Mensch. Das was er als für ein allgemeine Gesetz tauglich hält, ist meiner Ansicht gefährlicher moralischer Absolutismus. Eine meiner Ansicht nach bessere Formulierung für solch ein Gesetz wäre "Ein
RoboterMensch darf die Menschheit nicht verletzen oder durch Passivität zulassen, dass die Menschheit zu Schaden kommt."
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"Kant" ist keine Quelle, s. meine vier Links. Du darfst auch gerne nochmal selbst Google bemühen und nach "Kant Lüge" suchen, dann wirst Du darauf kommen, dass Deine Interpretation keineswegs mit dem übereinstimmt, was Kant gemeint hat, da er genau diese Fragen ja bereits in seinen Schriften beantwortet hat.
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Eisflamme schrieb:
"Kant" ist keine Quelle, s. meine vier Links. Du darfst auch gerne nochmal selbst Google bemühen und nach "Kant Lüge" suchen, dann wirst Du darauf kommen, dass Deine Interpretation keineswegs mit dem übereinstimmt, was Kant gemeint hat, da er genau diese Fragen ja bereits in seinen Schriften beantwortet hat.
Ich habe oben noch was reineditiert, was diese Frage beantwortet.
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Als ich mich etwas mehr mit Kant beschäftigt habe, war ich mehr drin und hatte dazu auch mehr Meinung und Gedanken. Du verstehst sicher, dass ich es unzureichend finde, Kants gesamte Ethik mit einem Satz als falsch hinzustellen. Aber um da tiefer drüber zu reden, müsste ich mich auch mehr damit beschäftigen, gerade. Sonst wäre das nur Gesabbel, denn ich bin gerade echt raus.
Aber glaub Mal, dass sich mit etwas Hinschauen an Deiner Formulierung auch Berge von Problemen finden lassen.
Aber da sieht man Mal, dass es vielleicht doch nicht so ganz einfach ist, Beispiele zu finden, wo eine vermeintlich korrekte Lüge moralisch in Ordnung ist. Das ganze Thema ist hochkomplex, sonst hätten sich dazu auch nicht Philosophen aller Zeiten ständig und immer wieder dazu ausgelassen. Ich bin da auch noch nicht zu einem Ergebnis für mich gekommen, aber ich war bisher auch nicht in der Situation, dass ich lügen müsste, um jemandem vor großem Schaden zu bewahren. Es ist eben nicht einfach.
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Kant schreibt genauer:
Es ist doch möglich, daß, nachdem du dem Mörder, auf die Frage, ob der von ihm Angefeindete zu Hause sei, ehrlicherweise mit Ja geantwortet hast, dieser doch unbemerkt ausgegangen ist, und so dem Mörder nicht in den Wurf gekommen, die Tat also nicht geschehen wäre; hast du aber gelogen, und gesagt, er sei nicht zu Hause, und er ist auch wirklich (obzwar dir unbewußt) ausgegangen, wo denn der Mörder ihm im Weggehen begegnete und seine Tat an ihm verübte: so kannst du mit Recht als Urheber des Todes desselben angeklagt werden. Denn hättest du die Wahrheit, so gut du sie wußtest, gesagt: so wäre vielleicht der Mörder über dem Nachsuchen seines Feindes im Hause von herbeigelaufenen Nachbarn ergriffen, und die Tat verhindert worden.
[...]
Wenn man die Namen der Personen, sowie sie hier aufgeführt werden, beibehalten will: so verwechselte »der französische Philosoph« die Handlung, wodurch jemand einem anderen schadet (nocet), indem er die Wahrheit, deren Geständnis er nicht umgehen kann, sagt, mit derjenigen, wodurch er diesem Unrecht tut (laedit). Es war bloß ein Zufall (casus), daß die Wahrhaftigkeit der Aussage dem Einwohner des Hauses schadete, nicht eine freie Tat (in juridischer Bedeutung).In der Formulierung widerspricht das dem kategorischen Imperativ auch nicht, vielmehr widerspräche es ihm, wenn du den Mörder bloß als Mittel zur Verhinderung der Tat einsetzt (und ihm durch eine Lüge versuchst, davon abzuhalten). Damit negierst du in gewisser Form die freie Möglichkeit des Mörders, nicht zu morden. Und: Er schreibt auch nur für den Fall, dass man antworten muss und sagt auch nicht, was man sonst noch tun muss/kann, um den Mord zu verhindern. Dass man mit diesem Framework von sich aus nicht den Nationalsozialismus und dessen Funktionieren beschreiben kann ("Wenn aus Unrecht Rect wird..."), konnte Kant nicht vorhersehen.
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Das klingt konsequent nach Kant argumentiert.
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Aber der wichtige Punkt ist doch, dass wir uns darüber einig sind, dass der absolute Grundsatz "Du darfst nicht Lügen" zu moralischen Fehlentscheidungen führen kann. Dies ist natürlich unsere Moral die wir uns selbst gemacht haben. Das ist auch gut so, da alle absoluten moralischen Systeme bisher versagt haben. Das gilt auch für die Bibel. Daher braucht man in Ermangelung eines besseren Systems diese persönliche Moral wie sie Kant beschreibt. Zumindest in der Form wie ich ihn bisher verstanden habe. Ich bin geschockt, dass er das so radikal gemeint hat und bin heute von Kant-Fanboy zum Verächter geworden.
Meinen obigen Leitsatz kann ich jederzeit anpassen, wenn ich feststelle, dass damit etwas nicht richtig ist. Die Idee bei Kant ist zwar, dass ich vorher gründlicher hätte nachdenken müssen, damit so etwas gar nicht erst passiert, aber das ist realistisch gesehen unmöglich, alle Situationen perfekt vorauszusehen. Und ich muss Kant auch zum Vorwurf machen, dass er bei dem was du zitiert hast eben auch nicht so gedacht hat, dass moralisches Handeln in jeder Situation folgt.
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Das klingt jetzt zwar banal, gleichzeitig schwierig und für manche vielleicht sogar kitschig, aber eigentlich denke ich, dass man die moralisch besten Entscheidungen trifft, wenn man einfach auf sein Herz hört. Kant hat eigentlich versucht mehr oder weniger das abzubilden: Das natürlich Moralempfinden. Das niederzuschreiben und eine Theorie drum herum aufzubauen, ist streng genommen gar nicht notwendig. Aber die Gesellschaft, die immer alles als rationell nachvollziehbar benötigt, fordert so was natürlich ein wenig.
Daher bin ich auch großer Freund der Epoche "Klassik", weil sie Sturm und Drang sowie die Aufklärung gewissermaßen verbindet und weiterentwickelt. Ratio und Gefühle. Und was wir jetzt haben, ist eigentlich wieder so eine Art neuzeitliche Aufklärung, wobei das rationelle Denken ja leider nicht wirklich ausgeführt wird. Aber die Gefühlsebene ist doch eigentlich geradezu verbannt worden.
Ich bin echt ein Meister darin, neue Themen anzuschneiden, aber das hat sich mir gerade aufgedrängt.
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Eisflamme schrieb:
Das klingt jetzt zwar banal, gleichzeitig schwierig und für manche vielleicht sogar kitschig, aber eigentlich denke ich, dass man die moralisch besten Entscheidungen trifft, wenn man einfach auf sein Herz hört.
Das ist kitschig formuliert für "Tue das was du für richtig hältst.". Und ich halte das auch für eine gute Idee. Womit wir wieder beim Anfang wären:
SeppJ schrieb:
Wenn ihr euch aus der Religion sowieso die moralischen Botschaften rauspickt, die ihr für richtig haltet, wozu dann noch die Religion?
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Ne, ich möchte damit noch was anderes betonen. Für richtig halten kann man auch Dinge nach dem Verstand, damit kommt man aber nicht immer zu einer Lösung. Mit dem Herzen heißt sich wirklich in die Dinge reinzufühlen und dann nach Gefühl zu handeln, das ist etwas ganz anderes.
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Eisflamme schrieb:
Ne, ich möchte damit noch was anderes betonen. Für richtig halten kann man auch Dinge nach dem Verstand, damit kommt man aber nicht immer zu einer Lösung. Mit dem Herzen heißt sich wirklich in die Dinge reinzufühlen und dann nach Gefühl zu handeln, das ist etwas ganz anderes.
Das wiederum halte ich für gefährlichen Unfug. Bestenfalls, falls du mangels Informationen nicht zu einem logischen Ergebnis kommen kannst. Dann kannst du aber auch würfeln, gewichtet nach Plausibilität.
Was du beschreibst ist doch nur "Tue, was du willst". Wenn dein "Herz" dir sagt, dass du dem Baby den Lolli klauen sollst, weil du Hunger auf was Süßes hast, dann müsstest du dies deiner Aussage zufolge tun, obwohl dir dein Kopf etwas anderes sagt.