March for Science, 22.4.2017



  • OK, wir sind uns wohl einig, dass der Zugriff auf Primärliteratur selbst für einen interessierten Zirkel, der flüssig englisch lesen kann und gewohnt ist, Fachliteratur zu verdauen, kaum umsetzbar und vor allem auch zu aufwändig ist. Damit erhebt sich die Frage, wie man wissenschaftlich up-to-date bleiben kann, ohne auf den allgemeinen Schund in den bekannten Blättern oder aus eigentlich unbekannten Quellen angewiesen zu sein. Wie haltet ihr euch z.B. im Bereich der Chemie, Biochemie, Pharmazie, Medizin und Biologie auf Stand? Was sind eure ersten Quellen? Wikipedia? Übersichtsjournale?



  • Erhard Henkes schrieb:

    Damit erhebt sich die Frage, wie man wissenschaftlich up-to-date bleiben kann, ohne auf den allgemeinen Schund in den bekannten Blättern oder aus eigentlich unbekannten Quellen angewiesen zu sein. Wie haltet ihr euch z.B. im Bereich der Chemie, Biochemie, Pharmazie, Medizin und Biologie auf Stand?

    Ehrlich gesagt gar nicht. Zumal ich in den meisten dieser Gebiete gar keinen Stand habe, auf dem ich mich halten kann. Wenn ich mich da für ein Teilgebiet interessieren würde, dann würde ich mir wohl zuerst ein entsprechendes Fachbuch kaufen, um ein bisschen Verständnis des Gebiets aufzubauen.

    Ich habe vor einiger Zeit mal versucht, mich mittels Originalpublikationen in ein Gebiet der Bildverarbeitung (Superresolution) einzuarbeiten. So etwas ist möglich aber problematisch. Mit der entsprechenden Vorbildung kann man zwar auch Paper lesen, die nicht aus dem eigenen Gebiet kommen, aber was man da liest kann man noch lange nicht richtig einordnen. Man kriegt dann sehr punktuelles Wissen, aber keinen Gesamtüberblick. Man weiß nicht, wie repräsentativ ein Paper ist und ob es überhaupt der Stoßrichtung des jeweiligen Gebiets entspricht. Übersichtsartikel sind bei so einer Vorgehensweise aber natürlich ein guter Startpunkt.

    Einen Eindruck von der "Stoßrichtung eines Gebiets" kann man als Wissenschaftler kriegen, wenn man auf Konferenzen geht, die auch dieses Gebiet abdecken. So eine Vorgehensweise würde ich mir teilweise auch von Wissenschaftsjournalisten erhoffen, damit sie sinnvoll und repräsentativ über Entwicklungen in einem wissenschaftlichen Gebiet berichten können. Ich weiß nicht, ob das zu viel verlangt ist. Ich glaube zumindest nicht, dass da so gearbeitet wird. Natürlich wird man auf so einer Konferenz nicht die Details verstehen, aber man wird irgendwie mitkriegen, über was generell geredet wird und mit welcher Tendenz die Leute darüber reden.

    Es erwartet aber auch niemand, dass Leute jenseits der Wissenschaft wissenschaftlich up to date sind. Und es erwartet auch niemand, dass Wissenschaftler in fachfremden Gebieten up to date sind. Was man sich aber von mündigen Bürgern erhoffen könnte wäre, dass diese ein Grundverständnis dafür aufbringen, wie Wissenschaft funktioniert, wie wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn abläuft. Und auf dieser Basis kann man dann für eine Vertrauenskette vom Wissenschaftler über die Journale und die Gutachter, die Wissenschaftsjournalisten bis hin zur allgemeinen Bevölkerung werben. Nichtwissenschaftlichen Behauptungen die mit wissenschaftlichen Theorien konkurrieren, fehlt diese Basis der wissenschaftlichen Methode. Das ist ein qualitativer Unterschied, der den Leuten klar sein sollte. Insbesondere sollte man so ein Grundverständnis von Entscheidungsträgern erwarten können.

    Wikipedia ist übrigens gar nicht so schlecht, wenn man sich kurz und oberflächlich über ein Thema informieren möchte, das nicht kontrovers ist. 😋



  • Gregor schrieb:

    Wikipedia ist übrigens gar nicht so schlecht, wenn man sich kurz und oberflächlich über ein Thema informieren möchte, das nicht kontrovers ist. 😋

    Da hatte ich Professoren in Physik oder Regelungstechnik, die das komplett anders sehen. Ich persönlich habe mich auch schon das ein oder andere Mal über wp aufgeregt.
    Grundsätzlich stimme ich zu, für einen ersten Überblick durchaus zu gebrauchen; aber imho alles andere als Verlässlich.

    Gregor schrieb:

    Einen Eindruck von der "Stoßrichtung eines Gebiets" kann man als Wissenschaftler kriegen, wenn man auf Konferenzen geht, die auch dieses Gebiet abdecken. So eine Vorgehensweise würde ich mir teilweise auch von Wissenschaftsjournalisten erhoffen, damit sie sinnvoll und repräsentativ über Entwicklungen in einem wissenschaftlichen Gebiet berichten können.

    Kann man durchaus kontrovers betrachten, denn auch Konferenzen müssen ausgerichtet und finanziert werden - ergo, findet man auch hier Lobbyismus. Und das in alle Facetten.
    Nimm bspw. Tagungen zum Thema Klimawandel. Es wird den "Gegnern" oft vorgeworfen, dass die Studien zur Widerlegung von der Industrie finanziert werden. Hinter den "Befürwortern" stehen allerdings ebenso Industrie und Vereine (wie zB der BUND, der seine Zuwendungen in den letzten Jahren um mehrere Millionen, einen 2-stelligen Prozentwert, steigern konnte).

    Hm ... ja ... und dann haben wir ja noch die Geisteswissenschaftler.
    Ich kann berichten, dass diese in Scharen dort mitspaziert sind.



  • Was man sich aber von mündigen Bürgern erhoffen könnte, wäre, dass diese ein Grundverständnis dafür aufbringen, wie Wissenschaft funktioniert, wie wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn abläuft.

    Wieso sollen Nichtwissenschaftler, und das ist die Mehrheit der Menschen, sich um die Arbeitsweise solcher Spezialgebiete kümmern, mit denen sie im Alltag nichts zu tun haben?



  • Erhard Henkes schrieb:

    Was man sich aber von mündigen Bürgern erhoffen könnte, wäre, dass diese ein Grundverständnis dafür aufbringen, wie Wissenschaft funktioniert, wie wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn abläuft.

    Wieso sollen Nichtwissenschaftler, und das ist die Mehrheit der Menschen, sich um die Arbeitsweise solcher Spezialgebiete kümmern, mit denen sie im Alltag nichts zu tun haben?

    1. In der heutigen Zeit wird man mit jeder Menge Aussagen jeder Qualität, jedes Wahrheitsgehalts und aus jeder möglichen Quelle konfrontiert. Die Fähigkeit, Aussagen bezüglich solchen Kategorien einzuordnen ist eine wichtige Medienkompetenz, die jeder haben sollte. Bzw. es ist IMHO in der Tat eine Grundvoraussetzung, um mündig sein zu können:

    Wikipedia Artikel zu Mündigkeit

    „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ‚Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

    2. Vielleicht auch einfach, damit man nicht auf die Idee kommt, sich homöopathisch oder durch andere Quacksalberei therapieren zu lassen, falls man mal an Krebs oder einer anderen schweren Krankheit leidet.



  • Ich habe in dem Thread häufiger Sätze in dem Tenor "Geisteswissenschaften sind keine Wissenschaften" gelesen. Den Ansatz halte ich für Gefährlich. Ja, Geisteswissenschaften sind KEINE Naturwissenschaften. Aber Geisteswissenschaften sollen eigentlich zu einem unabhängigen und kritisch hinterfragenden Blickwinkel führen. Grade auch um aktuelle politische Strukturen zu hinterfragen, Ideen für neue Gesellschaftsmodelle zu entwickeln usw.

    Der Unterschied ist, dass sich Erkenntnisse der Geisteswissenschaften nicht so einfach von Unternehmen in Geld umsetzen lassen. Daher ist auch die Entwicklung was Hochschulräte betrifft kritisch zu betrachten. Denn dort können Vertreter der Wirtschaft Einfluss auf Hochschulpolitik nehmen. Die inverstieren aber wahrscheinlich lieber in einen gut ausgebildeten MINT Absolventen als in einen kritisch hinterfragenden Politikwissenschaftler.

    Im übrigen haben wir die Aufklärung vielen Geistenwissenschaftlern (Philosophen) wie z.B. Jean-Jacques Rousseau zu verdanken.



  • Schlangenmensch schrieb:

    Ich habe in dem Thread häufiger Sätze in dem Tenor "Geisteswissenschaften sind keine Wissenschaften" gelesen. Den Ansatz halte ich für Gefährlich. Ja, Geisteswissenschaften sind KEINE Naturwissenschaften. Aber Geisteswissenschaften sollen eigentlich zu einem unabhängigen und kritisch hinterfragenden Blickwinkel führen. Grade auch um aktuelle politische Strukturen zu hinterfragen, Ideen für neue Gesellschaftsmodelle zu entwickeln usw.

    Falls ich etwas in der Art geschrieben habe, sollte das keine Geringschätzung den Geisteswissenschaften gegenüber gewesen sein. Es ist nur eine Begriffsfrage. Unter den Begriff "Science" (es geht hier ja um den March for Science) fallen sie einfach nicht. Die Übersetzung Science <-> Wissenschaft ist nicht ganz passend. Wenn man in Amerika Philosophie studiert, dann wird man eher kein Master of Science am Schluss, wobei es sicherlich Ausnahmen gibt.



  • Das Wort Science alleinstehend assoziere ich auch eher mit den Naturwissenschaften. Geisteswissenschaften sind ja "Arts".
    Wobei es auch im englischsprachigen sowas wie "social sciences" gibt.

    Auch Pädagogik => educational science => würde bei uns unter Geisteswissenschaften fallen. Wobei ich das eher unter Science verorten würde.

    Wie auch immer, zumindest bin ich der Meinung, dass man nicht (Natur-) Wissenschaftler sein muss um sich bei einem March for Science für die Wissenschaften einzusetzen.



  • Im übrigen haben wir die Aufklärung vielen Geistenwissenschaftlern (Philosophen) wie z.B. Jean-Jacques Rousseau zu verdanken.

    Die Aufklärung wurde vor allem auch die Fortschritte in den Naturwissenschaften und in der Mathematik getrieben. Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz lebten vor Jean-Jacques Rousseau und entwickelten entscheidende Ideen für das Verständnis von Natur und Technik, auf denen wir heute immer noch aufbauen (klassische Mechanik, Infinitesimalrechnung, ...).
    Jean-Jacques Rousseau war allerdings ein geistiger Wegbereiter der Französischen Revolution. Politisch wichtig. Was er an Ideen über den Menschen entwickelte, hat in der egoistischen Gesellschaft von heute vielleicht mehr Gültigkeit als damals: https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_Rousseau#Menschenbild

    Dort findet man auch: Seine Theorien wurden von den Vertretern der christlichen Kirchen sowie auch von vielen Denkern der Aufklärung abgelehnt.
    Er war ein echter Freidenker! Seine Idee, dass durch Kultur und Gesellschaft das Böse entsteht und der Mensch nur in kleinen, naturnahen Gemeinschaften gut sein kann, ist nachvollziehbar. In den heutigen Massengesellschaften allerdings ist genau das Gegenteil entstanden.



  • Erhard Henkes schrieb:

    Er war ein echter Freidenker! Seine Idee, dass durch Kultur und Gesellschaft das Böse entsteht und der Mensch nur in kleinen, naturnahen Gemeinschaften gut sein kann, ist nachvollziehbar. In den heutigen Massengesellschaften allerdings ist genau das Gegenteil entstanden.

    Ich glaube nicht, das der "Wutbürger" ausreicht und Patriot Act/Ernergiemafiositum oder Massenverblödung (vor dem Fernseher oder einem anderen Bildschirm sitzend) zu stoppen.
    Naturnah war aber in dem Sinne idealistisch gemeint dass a) der Naturbegriff sowieso vielfach ein anderer ist und vielfach mehr oder weniger bewusst missbraucht wird und b) viel "Natur" schlicht und ziemlich unterschätzt kulturfolgend ist.
    (z.B. Das große Bienensterben naturnah: massenweises ersaufen..)
    (ist alles nicht so einfach, wie man sich das denkt)

    edit: ps: Wissenschaftsmarschwetter bei uns: 4 Grad und starker und kalter Wind.
    (typisches Gruselwetter, wo Katzen es nicht sehr lange draußen aushalten)



  • Das große Bienensterben naturnah: massenweises ersaufen..

    Was meinst Du damit genau?



  • Erhard Henkes schrieb:

    Das große Bienensterben naturnah: massenweises ersaufen..

    Was meinst Du damit genau?

    na ertrunkene Bienen, hast du noch nie welche gesehen?
    Vom Außenflug durstige Bienen, die aber nicht so richtig (in Frühjahrspfützen Tümpeln, Eimern, Gartenteichen usw.) schwimmen können..



  • na ertrunkene Bienen, hast du noch nie welche gesehen?

    Ich kenne die nur putzmunter bei uns.



  • Was ist nun aus diesem "Marsch" geworden? Der "Marsch" in Frankreich - eine Bewegung - geht da ganz anders ab. 😉



  • Erhard Henkes schrieb:

    Was ist nun aus diesem "Marsch" geworden? Der "Marsch" in Frankreich - eine Bewegung - geht da ganz anders ab. 😉

    ja, bei uns wurde dann die Uni von den Franzosen geschlossen - ganz toll..


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