Warum enthält ein Informatikstudium soviel Mathe?



  • So eine lange Diskussion um so ein einfaches Thema? Alles zu lesen war mir zu aufwendig!

    Folgendes habe ich im Querlesen mitgenommen: 'Die Ergebnisse der Pisa-Studie waren kein Zufall gewesen und Schmalspurausbildung scheint sehr beliebt zu sein - jedenfalls bei den lernenden'.

    Ich verstehe jetzt besser, warum ich und viele Kunden mit ausgebildeten Informatikern in der Praxis oft nichts anfangen konnten!

    Ich rate jedem Chef einer IT-Firma, auch das mathematische Grundwissen bei der Einstellung eines Kanditaten zu testen. Die Beherrschung der vier Grundrechenarten (plus-minus-mal-geteilt) reicht nicht. Etwa so: 'Zeigen sie bitte den Weg zur Lösung folgender Aufgabe ....'. Die Aufgabe kann sehr einfach sein, sie sollte nur einen Algorithmus erfordern. :p


  • Mod

    empgodot schrieb:

    otze schrieb:

    "Das Problem ist irgendwie nicht so wirklich definiert.".

    Und das ist eben der Unterschied. Ob man sagt: "Ich sehe jetzt das EINE Kind. Welches Geschlecht hat das ANDERE?" (nummeriert) oder ob man Global draufschaut: "Ich sehe jetzt EIN Kind. Welche Geschlechter haben BEIDE zusammen?"

    Die Aufgabe definiert es doch eindeutig. Man sieht das EINE, das am Fenster steht, wenn man gerade hinsieht. Und die Frage ist auf das ANDERE bezogen.

    Aber "am Fenster stehen" ist keine Ordnung für die Kinder. Du hast nur die Information, dass eines der Kinder am Fenster steht, aber nicht welches. Und dies beeinflusst das Ergebnis.

    Um deiner Intuition etwas auf die Sprünge zu helfen, hilft vielleicht ein leichter nachvollziehbares Problem:
    Formulierung 1: Ich werfe zweimal eine Münze. Ich sage dir, dass von den zwei Würfen mindestens einer Kopf war. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich zweimal Kopf habe? Antwort 1/3.
    Formulierung 2: Ich werfe zweimal eine Münze. Ich sage dir, dass von den zwei Würfen der erste Kopf war. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich zweimal Kopf habe? Antwort 1/2.
    Jetzt setzt du dich ein paar Stunden hin und wirfst Münzen. Und dann staunst du über das Ergebnis.

    Aber das ist mir jetzt zu blöd, über Mathematik zu diskutieren, weil ich nicht sehe wie man über etwas beweisbares noch diskutieren kann.



  • Gregor schrieb:

    Ein recht einfaches Beispiel bezüglich Modellierung ist das Kind am Fenster Problem.

    Das muss man schon Trollerei nennen 🤡



  • Bashar schrieb:

    Gregor schrieb:

    Ein recht einfaches Beispiel bezüglich Modellierung ist das Kind am Fenster Problem.

    Das muss man schon Trollerei nennen 🤡

    SCNR! 😉 🤡



  • SeppJ schrieb:

    Formulierung 1: Ich werfe zweimal eine Münze. Ich sage dir, dass von den zwei Würfen mindestens einer Kopf war. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich zweimal Kopf habe? Antwort 1/3.
    Formulierung 2: Ich werfe zweimal eine Münze. Ich sage dir, dass von den zwei Würfen der erste Kopf war. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich zweimal Kopf habe? Antwort 1/2.

    Die Aufgabe ist Formulierung 2 zuzuordnen. In der Aufgabe steht ja "Nun sieht man am Fenster einen Jungen stehen". Zu Formulierung 1 würde passen "Man ruft zum Nachbarhaus rüber: 'Ich brauch mal einen starken Jungen, der mir beim Tragen helfen kann!' und dann kommt ein Junge zum Fenster.".



  • Und wo bitte steht "Zeigt mal euer älteres/schwereres/dümmeres/betrunkeneres Kind!", sodass Formulierung 2 zutrifft?



  • Michael E. schrieb:

    Und wo bitte steht "Zeigt mal euer älteres/schwereres/dümmeres/betrunkeneres Kind!", sodass Formulierung 2 zutrifft?

    "Zeigt mal euer am Fenster stehenderes Kind!" 🕶


  • Mod

    empgodot schrieb:

    SeppJ schrieb:

    Formulierung 1: Ich werfe zweimal eine Münze. Ich sage dir, dass von den zwei Würfen mindestens einer Kopf war. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich zweimal Kopf habe? Antwort 1/3.
    Formulierung 2: Ich werfe zweimal eine Münze. Ich sage dir, dass von den zwei Würfen der erste Kopf war. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich zweimal Kopf habe? Antwort 1/2.

    Die Aufgabe ist Formulierung 2 zuzuordnen. In der Aufgabe steht ja "Nun sieht man am Fenster einen Jungen stehen". Zu Formulierung 1 würde passen "Man ruft zum Nachbarhaus rüber: 'Ich brauch mal einen starken Jungen, der mir beim Tragen helfen kann!' und dann kommt ein Junge zum Fenster.".

    Stimmt, du hast recht. Doch eine doof formulierte Aufgabenstellung, die den Punkt, den sie machen will, verfehlt.



  • SeppJ schrieb:

    Doch eine doof formulierte Aufgabenstellung, die den Punkt, den sie machen will, verfehlt.

    Den Punkt, den ich damit machen wollte ist, dass Modellierung echt schwer ist. Wenn man sich in Anwendungsgebieten jenseits der Mathematik bewegt, dann hat man eben nicht gleich alles mathematisch formuliert. Das ist einer der Gründe, warum die Abbildung eines Problems auf die Mathematik enorm herausfordernd sein kann. Auch schon bei ganz einfachen Fragestellungen und Problemen ohne jede Komplexität.



  • Wow, das nenne ich doch mal einen Fortschritt!

    @Gregor:
    Beeindruckende Ausführungen! - Du solltest nur immer einige Sachen im Hinterkopf halten:

    1. Du hast noch zusätzlich eine naturwissenschaftliche Ausbildung. Damit bist Du besser in der Lage Konzepte zu abstrahieren als reine Informatiker. Klinkt komisch, ist aber so. Ich sehe das hier an meiner eigenen Herde. Jeder hat hier einen Lehrstuhl in der Informatik inne, aber erst nachdem ich Konzepte wie M-Theory, Reaktionsgleichgewichte, Feldtensoren etc vorgestellt habe, bekommen Sie auf einmal Probleme gelöst, die Sie auf einer reinen mathematischen logischen Ebene nicht mehr gebacken bekommen. - Reine Erkenntnismodelle. Deshalb gehst Du von Deiner Einstellung von Selbstverständlichkeiten aus, die normale Leute eben trotz schönen Ausführungen nicht mehr realisieren.

    2. Ich bin sicher in 10-15 Jahren gibt es ein neues Unterichtsfach in der Schule - 'Systems & Requirements Engineering'. Dann wir unter anderem auch diskutiert, welche Domainmodelle man aus einer Anwendungsdomain entwickeln muss, damit aus deren Konfiguration ein Ausbildungskonzept entsteht, das die Anforderungen eines zukünftigen Jobs erführen soll. Und dann realisiert man sofort, dass diese Domainmodelle nicht stabil sind. Also, ob mehr Mathe ins Infostudium rein sollte, hängt von der Anwendungsdomain (Job) ab.

    3. Ein weiters Problem von besonders "mathematischen" Informatikern ist, dass sich in Details verlieren. Ich z.B. muss ständig an den Zügeln reißen, damit die Leute sich zunächst die ersten Abfahrten mal ankucken, bevor sie sich entscheiden, ob sie in der 30. Abfahrt links oder rechts fahren, weil die ersten 29 ihrer Meinung nach sowieso Schema F sind - Fürchterlich! - Zwei Zeilen an der Tafel und schon Schrittfehler. Dann werden zwar 2 Monate lang Ergebnisse produziert, die aber für das Erreichen des Topziels marginal sind. Und dann wird dann politischer Druck gemacht, dass die ersten 29 Ausfahren auch ja so umgesetzt werden, damit man seine Existenzbereichtingung hat. 😞



  • Prof84 schrieb:

    Und dann realisiert man sofort, dass diese Domainmodelle nicht stabil sind. Also, ob mehr Mathe ins Infostudium rein sollte, hängt von der Anwendungsdomain (Job) ab.

    Gerade die Informatik hat enorm viele Anwändungsdomänen. Da kann man nicht für jede Domäne ein angepasstes Studium entwickeln. Naja, vielleicht doch. Ich hatte ja mal in dem Thread "Was ist Informatik?" gesagt, für was ich die Informatik halte und wie sich die Informatik aus meiner Sicht entwickeln wird. Vor allem denke ich, dass viele Bereiche von der Informatik abgesplittert werden. Was an Universitäten zurückbleibt, wird eine wissenschaftliche Orientierung haben und entsprechend eine ganze Menge Mathematik benötigen.

    Allerdings denke ich, dass diese Entwicklung relativ unabhängig von einer Diskussion der Ziele des Informatikstudiums stattfinden wird. Es ist einfach so, dass sich bestimmte Bereiche im Kern der Informatik etablieren und ausweiten. Bereiche, die keinen großen Zusammenhang zu diesem Kern haben, fallen auf Dauer somit automatisch raus. Und gerade die sehr praktisch orientierten Bereiche haben wenig Bezug zu anderen Teilen der Informatik.

    Letztendlich musst Du ja sehen, dass das Informatikstudium ein Studium ist und keine Berufsausbildung. Die Ausrichtung auf einen bestimmten Beruf ist da eine absolute Nebensache. Während der Boomphase der New Economy gab es natürlich jede Menge Rufe danach, dass man sehr praktisch orientierte Informatik-Absolventen brauche, die man möglichst schnell daran setzen kann, eine Internetpräsenz für ein Unternehmen zu entwickeln. Diese Rufe höre ich heute aber kaum mehr. Und dann kannst Du die Informatik mal mit anderen Studien vergleichen. Hat es ein Physikstudium nötig, mit Blick auf bestimmte Berufe entworfen zu sein? Oder hat ein Mathestudium das nötig? Ne, beide haben das nicht nötig und ein wissenschaftliches Informatikstudium hat das auch nicht nötig. Allerdings könnten sich bestimmte Ingenieurs-Studien im Umfeld der Informatik etablieren, die eine _etwas_ stärkere Ausrichtung auf eine Klasse von Berufen haben.

    Aber wie schon gesagt. Ich gehe davon aus, dass der Mathematik-Anteil im Informatikstudium zunehmen wird. ...und empfehle in diesem Zusammenhang den oben verlinkten "Was ist Informatik?"-Thread zu lesen. 😋



  • Gregor schrieb:

    ... Ich gehe davon aus, dass der Mathematik-Anteil im Informatikstudium zunehmen wird. ...

    Dann lasst uns das mal hoffen - schaden kann es nicht! Was ist der Abschluss eines Informatik-Studium - ein Dipl.-Ing. oder ein Dipl.-Inf.? Wenn Dipl.-Ing., gehört Mathematik notwendig dazu oder diese Fachrichtung schmückt sich mit falschen Emblemen!



  • Gregor schrieb:

    Du meinst, die Interpretation der Beobachtung verändert das Ergebnis? Wenn ich das Experiment 1000 mal durchführe und mir dabei denke "Das war jetzt Kind Nummer 1" oder "Das war jetzt irgendeins der beiden Kinder", dann soll unterschiedliches rauskommen? Deine Gedanken sollen Auswirkungen auf das Geschlecht Deiner Mitmenschen haben? Ne, daran glaube ich nicht. 😋

    Aber genau das ist doch das Interessante!
    Es geht nicht darum, wie die Verteilung der Geschlechter ist. Es geht darum, wie man die Zusatzinformationen interpretiert. Die ist in dem Fall "Ein Junge steht am Fenster".

    Nun kann man das für eine Simulation auf unterschiedliche Arten interpretieren.

    Zum Beispiel:
    1. erzeuge zufällig 2 Geschwister
    2. schicke nun zufällig eines der beiden ans Fenster
    3. Wenn es männlich ist, dann pack das Geschlecht des anderen Kindes in die Statistik
    sonst: Verwerfe, da Bedingung nicht erfüllt.

    Ergebnis: 1/3

    Andere Modellierung:
    1. erzeuge zufällig 2 Geschwister
    2. schicke das erste der beiden Kinder ans Fenster
    3. Wenn es männlich ist, dann pack das Geschlecht des 2. Kindes in die Statistik
    sonst: Verwerfe, da Bedingung nicht erfüllt.

    Ergebnis: 1/2

    Der Unterschied ist nur die Auswahl der Fälle und wann man einen Fall verwirft. Im ersten Fall fällt raus, dass bei den Kombinationen m/w w/m nur zu einer 50% Wahrscheinlichkeit der Junge wirklich am Fenster steht. Das kann aber laut Aufgabenstellung nicht beachtet werden, weil "Du siehst einen Jungen am Fenster". Aber der zweite Fall führt eine unnatürliche Enumeration der Kinder ein.



  • otze schrieb:

    Zum Beispiel:
    1. erzeuge zufällig 2 Geschwister
    2. schicke nun zufällig eines der beiden ans Fenster
    3. Wenn es männlich ist, dann pack das Geschlecht des anderen Kindes in die Statistik
    sonst: Verwerfe, da Bedingung nicht erfüllt.

    Ergebnis: 1/3

    Nein, auch da kommt 1/2 raus. Wenn du zweifelst, programmier' es doch mal. 🙂



  • Warum enthält ein Informatikstudium soviel Mathe?

    Tut es gar nicht. Im Gegenteil: Es enthaelt zu wenig Mathematik.



  • empgodot schrieb:

    otze schrieb:

    Zum Beispiel:
    1. erzeuge zufällig 2 Geschwister
    2. schicke nun zufällig eines der beiden ans Fenster
    3. Wenn es männlich ist, dann pack das Geschlecht des anderen Kindes in die Statistik
    sonst: Verwerfe, da Bedingung nicht erfüllt.

    Ergebnis: 1/3

    Nein, auch da kommt 1/2 raus. Wenn du zweifelst, programmier' es doch mal. 🙂

    Ich habe das mal gebaut:

    import java.util.*;
    
    public class KindAmFenster
    {
       public static void main(String[] args)
       {
          Random rand = new Random();
          int[] kids = new int[2];
          long[] statistics = new long[2];
          for(int i = 0 ; i < 1000000000 ; ++i)
          {
             // zufällige Kinder erzeugen. 0=Junge, 1=Mädel
             for (int j = 0 ; j < kids.length ; ++j)
             {
                kids[j] = Math.abs(rand.nextInt()) % 2;
             }
             // zufällige Wahl des Kindes:
             int chosenKid = Math.abs(rand.nextInt()) % 2;
             // wenn Kind Junge, dann anderes Kind in die Statistik
             if(kids[chosenKid] == 0)
             {
                ++statistics[kids[(chosenKid+1)%2]];
             }
          }
          System.out.println("Anzahl Jungen:  " +  statistics[0]);
          System.out.println("Anzahl Mädchen: " +  statistics[1]);
       }
    }
    

    Resultat:

    Anzahl Jungen:  249992316
    Anzahl Mädchen: 250106787
    

    Sieht nach 50/50 aus.

    @Otze: So kommst Du nicht auf Dein 1/3-Ergebnis. Du müsstest das so machen:

    1. Erzeuge zufällig 2 Geschwister.
    2. Guck, ob bei den beiden Geschwistern mindestens ein Junge dabei ist. Ist das nicht der Fall, verwerfe diesen Durchgang. Ansonsten schicke den Jungen ans Fenster und das andere Kind in die Statistik.

    Du siehst, dass man bei dieser Modellierungsvariante enorme Annahmen über die Vorgeschichte der beiden Kinder getroffen hat. Die stecken in der Problembeschreibung aber nicht drin.



  • Gregor schrieb:

    Du siehst, dass man bei dieser Modellierungsvariante enorme Annahmen über die Vorgeschichte der beiden Kinder getroffen hat. Die stecken in der Problembeschreibung aber nicht drin.

    Ich sehs genau andersrum, nämlich dass du Annahmen über die Vorgeschichte der Kinder machst, wenn du sagst, dass sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ans Fenster gehen, anstatt einfach hinzunehmen, dass ein Junge am Fenster steht und daraus zu schließen, dass mindestens ein Kind ein Junge ist. Da können wir uns lange drüber streiten, was natürlicher ist.



  • Da steht ein Kind am Fenster? Es fragt sich zunächst, was sehe ich da draussen. Später fragt es sich, ob es Mathematik lernen soll. Brauche ich nicht für mein angestrebtes Informatik-Studium sagt es und will davon nichts wissen! Wofür denn - ich werde in der Praxis die Vorgaben machen, den Rest machen die anderen! 😕



  • Ich glaube, das hat auch geschichtliche Gründe, das es soviel Mathematikfetischismus im Informatikunterricht gibt. Es gibt das Fach noch nicht sehr lange.

    Denkbar wäre z.B. eine viel stärkere rethorische Ausbildung, um nicht von den Projektleitern und -assistenten in den Wahnsinn getrieben zu werden.

    Sehr vernachlässigt wird nach meinem Einduck in der wissenschaflichen Ausbildung auch gerne die Qualität der Hypothesenbildung oder das Ermöglichen von Extremspezialisierungen.
    Die kreative wissenschaftliche Leistung erschöpft sich oft in überflüssigen Definitionen oder irreführendem Wortgebrauch - obwohl es aufgrund der Überfrachtung mit generell als nützlich erachteten Inhalten (Overload) kaum noch möglich scheint, Eigeninitiative zu entwickeln: es kommt zu geistlosen Downloads und sinnentleertem Nachgeplapper. Das kann man bei vielen Professoren beobachten, die auf eine einfache Frage wie "wie alt ist das Grundgesetz?" kaum noch eine einfache Antwort formulieren können ohne allerlei assoziierte Wissenshalden zusätzlich abzuladen.



  • @nachtfeuer: Kann deine Argumentation nicht nachvollziehen. Mein Studium hat sich anders gestaltet.


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